Gedenken in der Paulskirche: Die Angst lebt weiter

Der Völkermord der Türken an den Armeniern im Ersten Weltkrieg muss endlich anerkannt werden. Diese Botschaft war bei der 95. Gedenkfeier für die Opfer des Genozids von 1915 am Samstagabend in der Frankfurter Paulskirche deutlich zu vernehmen.

Hunderte von Menschen hatten sich
eingefunden, um an
die bis zu 1,5 Millionen Armeniern zu erinnern, die damals zu Tode
gekommen waren.
Vor der Veranstaltung war es zu verbalen Auseinandersetzungen mit
türkischen Passanten gekommen. Die Türkei erkennt zwar an, dass mehrere
100.000 Armenier im Osmanischen Reich getötet wurden. Bislang weigert
sich die Republik jedoch, die Massaker als Völkermord anzuerkennen. Auch
Deutschland hat bis heute eine endgültige Aussage vermieden.
Organisiert hatten die Gedenkveranstaltung der Zentralrat der Armenier
und die Armenische Kirche in Deutschland.

Der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, rief die Türkei im Namen
der
Deutschen Bischofskonferenz dazu auf, den Völkermord "vorbehaltlos"
einzugestehen. Wenn man der Armenier nicht gedenke, die von der
Regierung des Osmanischen Reichs ermordet wurden, beschädige man das
geschichtliche Gedächtnis der Menschheit, sagte Ackermann. Dieses
"monströse Verbrechen" sei ein "Menschheitsereignis", an das erinnert
werden müsse.

Auch Deutschland sei in den Völkermord an den Armeniern verstrickt,
sagte Ackermann, da die damalige Reichsregierung als Verbündeter des
Osmanischen Reichs genau über die Vorgänge Bescheid gewusst und nicht
eingeschritten habe. Die Verstrickung müsse "auch uns heutige Deutsche
mit Scham erfüllen".

Der Schriftsteller Ralph Giordano forderte ein Ende "der türkischen
Lebenslüge vom ,gegenseitigen Massakern´". Zudem kritisierte er die
Unterstützung der Bundesregierung für die Forderung der türkischen
Regierung, eine türkisch-armenische Historikerkommission mit der
Aufklärung der Vergangenheit zu beauftragen. Diese Kommission "ist die
Fortsetzung der Auschwitz-Lüge mit anderen Vorzeichen".

Auch dem in Hanau lebendem Edwin Moghaddasian geht es um Anerkennung.
Dass die Türkei nach wie nur von Kriegsopfern spreche, sei nicht
hinnehmbar. Wichtig wäre deshalb internationale Unterstützung. Gerade
Deutschland mit seiner eigenen Vergangenheit müsse den Genozid
eingestehen. Der Völkermord von 1915 dürfe auf keinen Fall in
Vergessenheit geraten, sagte der Frankfurter Andre Bigjani. Als Armenier
leide er bis heute unter den Auswirkungen der Verbrechen: "Die Angst
lebt in uns weiter." Auch in deutschen Schulen habe er als Armenier
Furcht vor Türken gehabt. Lange habe er deshalb seine Identität
versteckt.

Cemal Akcay gedenkt seit etwa 20 Jahren der Opfer. Aus Köln ist der
gebürtige Türke am Samstag mit fünf Freunden angereist. Seitdem er 1995
nach Deutschland zog, fahre er jedes Jahr nach Frankfurt. Zwar habe sich
sein Großvater nicht an den Gräueltaten beteiligt. Doch auch in seinem
Heimatdorf in der Westtürkei lebten Anfang des 20. Jahrhunderts viele
Armenier. "Und eines Tages waren alle weg ", habe ihm sein Großvater
immer wieder erzählt, "und keiner kam jemals wieder."