Seit
die Gespräche zwischen Ankara und Eriwan im September vergangenen
Jahres nach einem Besuch des türkischen Präsidenten Gül in Armenien aus
Anlass eines WM-Qualifikationsspiels der Fußballmannschaften beider
Länder begonnen haben, hat Babacan in mehr als einem halben Dutzend
Zusammenkünften mit seinem armenischen Gegenpart Edward Nalbandian die
Annährung eingeleitet. Armenien und die Türkei unterhalten keine
diplomatischen Beziehungen, die Grenze zwischen den beiden Ländern ist
von der Türkei 1993 wegen des Vormarsches armenischer Truppen im
armenisch-aserbaidschanischen Krieg um Nagornyj Karabach geschlossen
worden.
Obama nennt den Genozid beim Namen
Dass die Nachrichten darüber ausgerechnet jetzt bekanntgemacht
wurden, ist kein Zufall. An diesem Freitag soll sich Barack Obama, wie
amerikanische Präsidenten das seit vielen Jahren tun, offiziell zum
Streit über die Verfolgungen der Armenier im osmanischen Reich im Jahr
1915 äußern. Der 24. April gilt als Beginn dieser Verfolgungen, bei
denen es sich aus Sicht der Armenier und einer Mehrheit unabhängiger
Historiker um einen Völkermord gehandelt hat. Im offiziellen Ankara
leugnet man eine von blutigen Exzessen begleitete Vertreibung der
Armenier nicht mehr, will die Vorgänge jedoch nicht als Genozid
gewertet wissen. Das Geschichtsbild in der Türkei hat sich aber mit der
gesellschaftlichen Öffnung der vergangenen Jahre gewandelt. Immer mehr
Türken leugnen einen Genozid nicht länger oder fordern zumindest eine
offene Diskussion über diese Frage.
Bis auf Ronald Reagan hatten
es amerikanische Präsidenten in der Vergangenheit mit Rücksicht auf die
Bedeutung der Türkei als Nato-Partner vermieden, in ihren Äußerungen
zum 24. April wörtlich von einem Genozid zu sprechen, und stattdessen
umschreibende Formulierungen benutzt. Obama hatte sich im Wahlkampf
jedoch eindeutig festgelegt - Amerika habe einen Präsidenten verdient,
der die Ereignisse als Genozid beim Namen nenne, und er wolle dieser
Präsident sein. Bei seiner Rede vor dem türkischen Parlament Anfang
April hatte Obama das Wort vom Genozid vermieden, in seinen Gesprächen
aber darauf bestanden, dass er seine Äußerung nicht geändert habe.
Aserbaidschan befürchtet „Spannungen in der Region"
Türkische Politiker haben immer wieder gewarnt, eine Benutzung des
„G-Worts" könne den von den Vereinigten Staaten unterstützten fragilen
Annäherungsprozess zwischen beiden Staaten schaden. Auch deshalb war es
Ankara wichtig, noch vor dem 24. April zu demonstrieren, dass es einen
solchen Prozess tatsächlich gibt und auch für den amerikanischen
Präsidenten demnach einiges auf dem Spiel steht. Die Vereinigten
Staaten begrüßten am Donnerstag die Einigung. Ein Sprecher des
Außenamts sagte, Washington begrüße eine Normalisierung der Beziehungen
„ohne Vorbedingungen und in einem vernünftigen Zeitrahmen".
Die
Regierung Aserbaidschans, das mit Armenien um das Gebiet Nagornyj
Karabach im Streit liegt, reagierte mit Kritik. Die Normalisierung der
Beziehungen zwischen Eriwan und Ankara dürfe nur parallel zu einem
Abzug der armenischen Truppen von aserbaidschanischem Gebiet verlaufen,
wurde ein Sprecher des Außenministeriums in Baku zitiert. Die Öffnung
der Grenzen zwischen der Türkei und Armenien könne zu „Spannungen in
der Region" führen und liefe den Interessen Aserbaidschans zuwider,
sagte der Sprecher. Jedoch sei es „zu früh", über mögliche
Gegenmaßnahmen Aserbaidschans zu sprechen.
In Eriwan reagierte
die nationalistische Opposition mit Demonstrationen und scharfer Kritik
auf die Nachricht einer Einigung. Die „Armenische Revolutionäre
Föderation" drohte aus Protest gegen die mit Ankara erzielte
Vereinbarung mit einem Austritt aus der Koalition in Eriwan.
Vorbedingung für freundschaftliche Beziehungen zur Türkei müsse deren
Anerkennung des Völkermords an den Armeniern sein, hieß es zur
Begründung. In armenischen Medien wurde vermutet, nach der Erklärung
werde die Anerkennung des Völkermords durch die Vereinigten Staaten
unwahrscheinlich.
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