Stepanekert – Seit 8 Monaten ist der armenische Teil von Bergkarabach von der Außenwelt abgeschnitten. Die Lage spitzt sich seither zunehmend zu. Den Menschen fehlt es inzwischen an allem. Der Zentralrat der Armenier in Deutschland schlägt Alarm. „Die humanitäre Situation vor Ort ist katastrophal und alarmierend. Die allerletzten Mehlreserven werden bald aufgebraucht sein. Wenn die Weltgemeinschaft nicht jetzt handelt, werden sehr bald die Todeszahlen durch Hunger und Unterernährung rasant steigen“, warnt der Vorsitzende des Zentralrats der Armenier, Jonathan Spangenberg, im Gespräch mit fr.de von IPPEN.MEDIA.
Die Menschen in Bergkarabach hungern
Auch die armenische Journalistin Siranush Sargsyan, die in der von aserbaidschanischen Truppen belagerten Region lebt, spricht von katastrophalen Verhältnissen. „Es ist bereits der vierte Tag, an dem man kein Brot mehr findet, die Menschen hungern. Was man finden kann, sind Weintrauben, selbst Kartoffeln sind nicht mehr zu bekommen, von Milchprodukten rede ich gar nicht“, so Sargsyan gegenüber fr.de.
Deswegen verteile die Regierung Lebensmittelgutscheine. Diese sind allerdings nur begrenzt und nicht jeder bekomme sie. Doch es fehlt auch an Trinkwasser. Wegen der ständigen Stromausfälle sei das Wasser in vielen Teilen ihrer Stadt Stepanekert ausgefallen.
Medikamente kaum noch vorhanden
Auch die medizinische Versorgung stehe vor einem Kollaps, berichtet die armenische Journalistin. Besonders die Schwächsten leiden darunter. Laut Zentralrat der Armenier wurden seit drei Monaten auch keine Medikamente durch das Rote Kreuz in das Gebiet hereingelassen.
„Wir haben einen Mangel an Medikamenten, es fehlt an einfachen Schmerzmitteln, an Medikamenten für Diabetes- und Dialyse-Patienten, eigentlich an allem“. Mütter seien auf ständiger Suche nach Baby-Medizin, Baby-Nahrung und Windeln.“ Besonders Kranke in den Dörfern können nicht medizinisch versorgt werden, weil es an Treibstoff und damit an Transportmöglichkeit fehlt.
Menschen in Bergkarabach wie Gefangene, die nichts zu Essen bekommen
Das eigentlich Problem der Menschen in der Region sei allerdings die Belagerung. „Wir sind Geiseln. Wir leben wie Gefangene, aber ohne Lebensmittel“, erzählt Sargsyan. Die Journalistin erzählt auch von den Checkpoints der aserbaidschanischen Armee, in denen Armenier, die nach Armenien wollten, festgenommen und anschließend verschleppt wurden. „Einer von ihnen ist ein kranker älterer Mann gewesen und drei Studenten, die nach Eriwan zum Studieren gehen wollten“.
Zentralrat der Armenier fordert Sanktionen gegen Aserbaidschan
Der Zentralrat der Armenier fordert die Bundesregierung und die EU zum Handeln auf. „Von der Bundesregierung erwarten wir jetzt zu handeln und alles zu unternehmen, um das Schlimmste zu verhindern. Es kann nicht sein, dass im 21 Jahrhundert vor der Weltöffentlichkeit eine Gruppe gezielt ausgehungert wird. Es ist an der Zeit, dass Deutschland und die EU Sanktionen gegen Aserbaidschan verhängen“, so Spangenberg. Ziel Aserbaidschans sei, die Leute entweder verhungern zu lassen, sie zu vertreiben oder bedingungslos zu unterwerfen, was für die Armenier in Bergkarabach den sicheren Tod bedeute.
„Putin schlechter Diktator, Alijew guter Diktator“
Die Menschen in Bergkarabach sind verzweifelt. „Leider habe ich keine Hoffnung in Bezug auf die europäischen Institutionen, denn für sie ist aserbaidschanisches Gas wichtiger als meine Landsleute und mein Leben. Sie tun so, als ob sie nicht sehen, was Aserbaidschan tut. Für sie ist Putin ein schlechter Diktator, aber Alijew ist ein guter. Sie wollen Gas, um es im Winter warm zu haben, aber wir haben den ganzen Winter über in unseren Mänteln gefroren“, so Sargsyan. Über Putin sage der Westen, er setze Hunger als Waffe in der Ukraine ein. Über den Machthaber in Aserbaidschan, Ilham Alijew, würde er es niemals sagen. Aber Aserbaidschan tue genau dasselbe, kritisiert die Journalistin.
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Quelle: https://www.fr.de/politik/armenien-aserbaidschan-berg-karabach-krieg-konflikt-stepanekert-hunger-medizin-menschenrechte-zr-92499748.html