Wir haben, Sie wissen das, Erfahrungen mit Völkermord. Wir werden uns nicht noch einmal wehrlos abschlachten lassen, das zumindest haben wir 1915 lernen müssen. Und diese Bemerkung finden Sie jetzt unangemessen? Haben Sie die Bilder vergessen von den Freudentänzen, die in Bakus Straßen gefeiert wurden, als in Armenien die Erde bebte? Haben Sie die Bilder von den geschleiften armenischen Khatchkar(Kreuzstein)-Feldern in Nachitschewan vergessen, Ausdruck einer unvorstellbaren Barbarei, mit der nicht nur die dort beigesetzten Toten geschändet, sondern auch ein Weltkulturerbe hohen Ranges unwiederbringlich vernichtet wurde?
Auch das ZDF hat über diese Ereignisse berichtet. Aber offensichtlich wird unser historisches Gedächtnis immer kürzer. Sie fahren beispielsweise mit Ihrem Kamerateam an die Grenze Nachitschewans, das Sie nicht Nachitschewan nennen, aber sie sagen Ihren Zuschauern nicht, dass auch dieses Land den Armeniern von Stalin geklaut und Aserbeidschan zugeschlagen wurde: Nach dem kompletten Bevölkerungsaustausch und einem vollendeten Ethnozid (s.o.) gibt es dort keinen Konfliktstoff mehr – ist es das, was Sie sich für Karabach gewünscht hätten?
Oder nehmen wir Schuschi, eine “uralte aserbeidschanische Stadt”, wie Sie behaupten. Uralt, das heißt natürlich in Wirklichkeit: seit Stalin. Davor war Schuschi nicht nur Hauptstadt der armenischen Provinz Arzach/Karabach, Shushi war vor allem ein überaus bedeutendes kulturelles und wissenschaftliches Zentrum Armeniens. Bis 1920 hatte Schuschi 60.000 Einwohner, davon 47.000 Armenier, den Rest bildeten die kaukasischen Tataren (heute Aseris) und Angehörige anderer Nationen. Allein während des Massakers vom 23. März 1920 wurden 30.000 Armenier von den türkisch-tatarischen Truppen aus Baku brutal ermordet und die armenischen Stadtteile völlig verbrannt und zerstört.
Solche Beispiele aus Ihrem Film lassen sich endlos fortsetzen.
Der “kaukasische Knoten” wird nicht in einer georgischen Kaffeestube gelöst, sondern nur in einem höchst komplexen politischen Prozess, der immer auch dies im Auge behalten muss: Stellen wir Stalins brutale Machtpolitik wirklich über das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes? Die armenische Bevölkerung Berg-Karabachs zahlt einen hohen Preis fürs Überleben. Sie und Ihr Team sind vom aserischen Geheimdienst nur an der Einreise nach Aserbeidschan gehindert worden - was Sie aber offensichtlich überhaupt nicht nachdenklich macht. Das Schicksal der Armenier in jenem Land war weit weniger komfortabel: Sie hatten weder Hartschalenkoffer noch Großraumtaxi, und sie hatten vor allem kein Rückflugticket erster Klasse nach Mainz oder sonst wohin in der Tasche. Sie mussten nur ihr nacktes Leben retten.
Mit freundlichem Gruß
Azat Ordukhanyan
Vorsitzender des Zentralrats der Armenier in Deutschland
Frankfurt am Main
07.02.2011