FRANKFURT - Weltweit ist am Sonntag an die Ermordung der bis zu 1,5 Millionen christlichen Armenier zwischen 1915 und 1917 im damaligen türkisch-osmanischen Reich erinnert worden. In der Frankfurter Paulskirche gedachten der Zentralrat der Armenier und die Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland des Völkermords, der vor 95 Jahren begann. Dabei erhob der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano erneut schwere Vorwürfe gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und die deutsche Bundesregierung.
Beide weigerten sich bis heute, die Massaker als das zu benennen, als was sie längst belegt seien: als gezielt vorbereiteten Völkermord. Da die Mitverantwortung des damaligen Alliierten Deutschland an dem Genozid „überwältigend“ sei, so Giordano, sei umso beschämender, dass „alle deutschen Regierungen sich an die Politik der Vertuschung und Verdrängung gehalten haben“. Erst 2005 habe der Deutsche Bundestag sich rückhaltlos zur deutschen Mitschuld und Mitverantwortung bekannt, aber das Schlüsselwort „Völkermord“ offenbar ganz bewusst vermieden, so Giordano. Er habe die Bundesregierung schriftlich aufgefordert, den Völkermord endlich offiziell als Völkermord zu benennen, jedoch nie eine Antwort erhalten.
Kein EU-Beitritt ohne Bekenntnis
„Mit ihrem Zögern fällt die heutige schwarz-gelbe Bundesregierung weit hinter den damaligen Bundestagsbeschluss zurück“, so Giordano. Tatsächlich habe das Auswärtige Amt die türkische Formel von den „tragischen Ereignissen“ übernommen, indem sie einer sogenannten „unabhängigen Historikerkommission“ zur Aufklärung der „tragischen Ereignisse“ zustimmte. Diese Kommission „ist die Fortsetzung der Auschwitz-Lüge mit anderen Vorzeichen.“
Giordano bezeichnete Ministerpräsident Erdogan aufgrund seiner integrationsfeindlichen Reden unter anderem in der Köln Arena als „Brandstifter“. Die Europäische Union müsse der Türkei erklären, dass ihr Weg in die EU „nur durch das Nadelöhr der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern gehen kann“.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Armenier in Deutschland, Azat Ordukhanyan, bedankte sich beim Zentralrat der Juden dafür, dass er die Türkei in klaren Worten daran erinnert hat, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen.
In Istanbul brach nach Medienberichten die Menschenrechtsorganisation IHD zum ersten Mal mit einem türkischen Tabu. Unter der Parole „Nie wieder“ zogen etwa hundert Teilnehmer eines Gedenkmarsches zum Bahnhof Haydarpasa, von dem aus die ersten Armenier deportiert worden waren.