Irritierende Signale

Kommentiert von Jochen Mangelsen - Ist das nun ein böswillige Lesart, oder ist es einfach der logische Rückschluss? Das Lepsiushaus Potsdam teilt zunächst mit, dass Prof. Goltz eine türkische Einladung in eine türkisch-armenische Historikerkommission angenommen habe, und dann folgt die Standortbestimmung mit einer schriftlichen Information über eine geplante Veranstaltung zum “Pogrom von 1915”. Kein Völkermord, kein Holocaust, kein Ras-ul-ajn? Nur hier und da mal ein kleines Pogrom?

Gleichzeitig lesen wir in einer epd-Meldung, dass das Lepsiushaus zu
einer umfassenden Gedenkstätte zum Völkermord an den Armeniern ausgebaut
wird.
Irritierende Signale aus Potsdam.
Das Lepsiushaus ist der Versöhnung verpflichtet, das hat der Bundestag
in
seiner Resolution von 2005 so angelegt. Das ist auch in Ordnung. Aber
Versöhnung funktioniert nur auf der Basis von Respekt und Anerkennung.
Wenn die
Täterseite die Tat nicht anerkennt, gibt es nichts zu versöhnen, dann
fehlt der
Versöhnung ihr Gegenstand. Jeder Versuch, Versöhnung ohne Anerkennung zu
erzwingen, muss scheitern.

Daniel Goldhagen hat seinem außerordentlich erhellenden Buch über
Völkermord
einen Untertitel gegeben: "und wie er zu verhindern ist". Seine zentrale
These
zu dieser Frage heißt schonungslose Klarheit. Er schreibt: "Wir dürfen
nicht
das Passiv verwenden, das die Beteiligung der Täter ausspart - an diesem
oder
jenem Tag wurden so und so viele Armenier, Chinesen, Juden, bosnische
Muslime
oder Tutsi getötet -, sondern müssen das Aktiv wählen. Und wir müssen
darauf
achten, die Täter beim Namen zu nennen; wir sollten keine Angst haben,
sie
Türken zu nennen, wenn sie Türken sind, Japaner, wenn sie Japaner sind,
Deutsche, wenn sie Deutsche sind, Sowjets, wenn sie Sowjets sind,
Amerikaner,
wenn sie Amerikaner sind, Serben, wenn sie Serben sind, Hutu, wenn sie
Hutu
sind, Islamisten, wenn sie Islamisten sind." Er mahnt eindringlich: Nur
wenn
wir die Fakten schonungslos benennen, Ursachen und Wesen, Ausmaß und
systematischen Charakter eines Völkermords darstellen, werden wir in der
Lage
sein, politische Strategien zu entwickeln, um ein solches Morden in
Zukunft zu
verhindern und wirklich Leben zu retten.

Nie wieder - das ist der moralische Impetus, der uns bewegt, wenn wir
der Opfer
eines Völkermords gedenken. Wir ehren die Toten und wir sorgen uns um
die
Lebenden. "Nie wieder", das darf allerdings nur der sagen, der
anerkennt, dass
geschah, was nie wieder geschehen soll. Solange die Türkei ihre
Geschichte
nicht akzeptiert, den Völkermord an den Armeniern nicht anerkennt,
solange
bleibt sie in dieser moralischen Falle: Völkermord bleibt für sie
politisch
legitimiert, weil er erfolgreich war!

Das Lepsiushaus Potsdam hat eine große Aufgabe, zu der man den
Verantwortlichen
nur Glück wünschen kann. Worte aber sind nicht nur Buchstaben, nicht nur
Grammatik. Worte sind Inhalte. Manchmal sind sie verräterisch, wenn sie
zum
Beispiel aus einem Völkermord ein Pogrom machen. Und dann fragen wir uns
nicht,
ob dieses Wort ein Fehlgriff war. Wir fragen uns, welche Denkstrukturen
dazu
geführt haben, dieses Wort zu wählen statt der Wahrheit.

Das Lepsiushaus Potsdam sollte die Kraft haben, Fehler zu korrigieren.
Die
Armenier brauchen diese Institution, als Forschungs- und als
Gedenkstätte. Wir
Deutschen brauchen diese Institution auch.

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Dr. Jochen Mangelsen
Bremen