Internationales Filmfestival in Mannheim

Egoyan ist "Master of Cinema"

Von Hans-Günter Fischer

Festivalchef Michael Kötz hält die Laudatio, setzt ihn auf den Thron
der weltweit besten Regisseure und befördert ihn zu einem Helden des
Autorenfilms, der mittlerweile in Gefahr sei: durch den Virus einer
"neuen Kommerzialität". Atom Egoyan, "Master of Cinema" beim
Mannheim-Heidelberger Filmfest, fühlt sich tief verstanden.

Er erklärt, der populäre Weg sei nicht immer der beste. Und für
junge Filmemacher hat er einen Mutmacher dabei: die Super-8-Bilder, die
er vor 25 Jahren drehte, als er hier in Mannheim debütierte und die
Stadt erkundete. Mit wilden, wie beschwipsten Kamerabewegungen, unsere
Hobbyfilmer-Väter hätten das damals kaum wackeliger hinbekommen.

"Nehmt mir meinen Preis nicht wieder weg", flachst Egoyan. Der
Exponent des Grübel-Kinos wird zum Plauderer und Spaßmacher. Das passt
zu "Next of Kin" ("Familienangehörige"), den Film von 1984, der im
Stadthaus noch einmal gezeigt wird. Lieblingsthemen und -motive Egoyans
sind hier schon da - Identität und ihr Verlust, moderne Medien und ihr
Einfluss auf die Konstruktion des Ich -, doch werden sie noch
spielerisch und eher humoristisch abgehandelt. "Next of Kin" lebt
hauptsächlich vom Drehbuch, was bei einem 35 000-Dollar-Film freilich
kein Wunder ist.

"Identität" ist ein fragiles Patchwork, Egoyan weiß das besonders
gut. Er kam in Kairo auf die Welt, seine Familie stammt ursprünglich
aus Armenien. Seinen Vornamen bezog er 1960 daher, dass die
fortschrittsfrohen Eltern die Atomkraft für die Energie der Zukunft
hielten. Als er drei war, ging es nach Victoria/Kanada, wo Atom später
Politik studierte - wie auch klassische Gitarre. Die Begegnung mit den
Dramen Samuel Becketts und Harold Pinters war ein weiterer zentraler
Faktor.

Da kommt also fast zu viel zusammen, und wenn seine Filme - ideales,
intellektuelles 3Sat-Kino - manchmal eine Schwäche haben, ist es die
der übergroßen Reflektiertheit und Verschachtelung. Aber es sind halt
Filme, die nicht weniger gedrechselt sein wollen, als menschliche
Erfahrung und Erinnerung tatsächlich sind.

Sogar der Sexus, der in vielen Arbeiten von Egoyan eine zentrale
Rolle spielt, bedient nur selten die Voyeure. Und es ist wohl mehr als
eine Pointe, dass er das vielleicht am wenigsten im Film "Exotica"
erstrebt, obgleich der doch in einer Striptease-Bude spielt. Da passt
es auch ins reflektierte Bild, dass Egoyan in seinem Film über den
Völkermord an den Armeniern, "Ararat" (2002), niemals moralisch
hochgerüstetes Gefühlskino im Sinn lag. Er ist zwar der Ansicht, "dass
sich Künstler erst in ihrer zweiten Lebenshälfte solchen Themen
stellen". Doch erwachsen waren seine Filme immer schon.

"Felicia, mein Engel", die Geschichte einer jungen Irin, die in
Birmingham an einen alten Mordbuben gerät (Bob Hoskins), baut allein
aus Dialogen eine Atmosphäre der Beklemmung auf. "Simons Geheimnis"
wendet sich wieder dem Thema Medien zu. Wobei das Internet die
Videokamera ersetzt, aber die Welt nicht unbedingt gebessert hat.