Cem Özdemir erkennt „vorsichtige Lockerungsübungen“ in der Türkei

In der Debatte um den Linksabgeordneten Keskin meldete sich Cem Özdemir in einem Interview mit der taz (12.01.07) zu Wort. Dabei behauptet er, in der Türkei würde sich derzeit „viel verändern“ und diese Veränderungen, die er als „vorsichtigen Lockerungsübungen“ bezeichnet, würden von der armenischen Gemeinschaft in Deutschland nicht wahrgenommen. Für Özdemir bedeutet es bereits ein großer Fortschritt, wenn bei einer Talkshow in einer der weit über 50 türkischen TV-Sendern gelegentlich auch armenische Journalisten und Publizisten auftreten. Wenn in der Türkei lebende Armenier wie Hrant Dink und Etyen Mahcupyan die Gelegenheit bekommen im türkischen Fernsehen aufzutreten, bedeutet dies noch lange nicht, dass die Türkei sich einer offenen und uneingeschränkten Aufarbeitung ihrer Vergangenheit stellt.

Özdemir,
der sich nach einem Skandal vorübergehend von der politischen Bühne verabschiedete,
bekam später eine neue Chance, seine Karriere als Berufspolitiker fortzusetzen,
diesmal im Europäischen Parlament, wo er sich für den EU-Beitritt der Türkei
stark macht. Es ist offensichtlich, dass ihm vor allem die Diaspora-Armenier
suspekt sind, darin unterscheidet er sich nicht im geringsten von der
türkischen Regierung und Hakki Keskin. Wir erleben immer wieder, wie versucht
wird, einen Keil zwischen den wenigen in Istanbul verbliebenen Armeniern und
denen in der Diaspora und Armenien zu treiben. Özdemirs Vorwurf an die heutige
Regierung Armeniens, sie würde im Gegensatz zur früheren armenischen Regierung
kein Interesse an einer Verständigung mit der Türkei haben, ist unwahr. Auch
die jetzige armenische Regierung hat immer deutlich ihre Bereitschaft zum
Dialog und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen bekundet. Eine Annäherung
zwischen den Nachbarstaaten Türkei und Armenien scheitert aber an der
unbedingten Solidarität der türkischen Regierung mit Aserbaidschan.

Der
Zentralrat der Armenier in Deutschland hat die Entwicklung in der Türkei stets
sehr aufmerksam verfolgt und wird es auch weiterhin tun. Zu zahlreichen
demokratischen Türken sowohl in Deutschland als auch in der Türkei unterhält
der ZAD seit vielen Jahren enge und freundschaftliche Beziehungen. Die
armenische Gemeinschaft in Deutschland hat Özdemirs kritische Haltung gegenüber
der sturen Leugnungspolitik der Türkei auch immer gewürdigt.  Leider war er aber immer entschieden gegen
einen Bundestagsbeschluss zum Völkermord.

Die
Behauptung Özdemirs, dass heute in der Türkei niemand - „anders als vor ein
paar Jahren" - verurteilt wird, weil er den Völkermord anerkennt.
Offensichtlich ist ihm entgangen, dass die gegen seinen armenischen  Freund H. Dink verhängte Strafe von sechs
Monaten auf Bewährung längst durch das oberste Berufungsgericht bestätigt und
somit rechtskräftig geworden ist. „Was damals den Armeniern widerfahren ist,
war Völkermord. Mit dem, was wir in der Vergangenheit durchgemacht haben,  sind heute die Kurden konfrontiert", warnte
Dink die Öffentlichkeit. Über 20 Journalisten befinden sich gegenwärtig in
türkischen Gefängnissen, nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD wurden 2006
allein in den Provinzen mit kurdischer Bevölkerung über 1200 Verstöße gegen die
Menschenrechte registriert. Während Menschenrechtsorganisationen die
dramatische Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Türkei beklagen,
spricht Özdemir von „vorsichtigen Lockerungs-übungen" auf dem Weg zu mehr
Demokratie. Mit einer derartigen Beschönigung der tatsächlichen Verhältnisse in
der Türkei, wird der Öffentlichkeit in Deutschland Sand in die Augen gestreut.

 

Zentralrat der
Armenier in Deutschland
Frankfurt
am Main, 19.01.2007