Es kommt selten vor, dass jemand im Alter von mehr als 80 Jahren
noch zum Botschafter berufen wird. Dass Armenien Charles Aznavour zu
seinem Botschafter in der Schweiz ernannt hat - wo der Chansonnier lebt
-, entspricht dem Wesen einer Nation, die mehr Angehörige im Ausland
zählt als zu Hause. Am 22. Mai wird Aznavour 85. Dem Land seiner
Vorfahren - sein Vater war Armenier aus Georgien, die Mutter Armenierin
aus der Türkei - hat er mehrere Lieder gewidmet.
Doch nicht nur das kleine Land verehrt den 1,61 Meter kleinen Sänger
mit den buschigen Augenbrauen und der markanten Unterlippe. In einer
Umfrage des Fernsehsenders CNN und des Online-Magazins „Time" wurde er
1998 zum „Entertainer des Jahrhunderts" gewählt, vor Elvis Presley und
Bob Dylan.
Es ist eine oft melancholische Unterhaltung, die Aznavour mit seinen
Liedern bietet. „Ich habe kein einziges Lied der Freude geschrieben.
Ich habe lustige Lieder geschrieben, aber kein frohes", sagte er
einmal. Fernweh, Nostalgie, Erinnerung an das Leben der Boh?me im
Pariser Viertel Montmartre, erloschene Liebe - das ist der Stoff, aus
dem er seine Texte webt. Aznavour trägt sie überzeugend vor - er ist
auch ein begabter Schauspieler, wie er in mehr als 60 Filmen gezeigt
hat, darunter in „Schießen Sie auf den Pianisten" von François Truffaut
(1960) oder in „Die Blechtrommel" von Volker Schlöndorff (1979).
Geboren am 22. Mai 1924 als Shahnourh Varenagh Aznavourian, begann
er mit neun Jahren zu schauspielern in einer Theateraufführung von
„Emil und die Detektive". Durch seine Schwester A?da kam er zum
Variété, mit einem Pianisten zog er durch die Kabaretts in Frankreich
und Belgien. Erfolge erzielte er zunächst nur mit seinen Texten für
Edith Piaf oder Juliette Greco. Seine eigene Stimme entsprach lange
nicht dem Publikumsgeschmack. Erst eine erfolgreiche Tournee in
Nordafrika brachte auch in Frankreich den Durchbruch. Es folgten
Hunderte Lieder - auch auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch
-, über 100 Millionen verkaufte Alben und einige Bücher.