Annäherung zwischen der Türkei und Armenien

Die Türkei und Armenien haben nach Angaben der Regierungen unter Vermittlung der Schweiz einen Fahrplan zur Normalisierung ihrer Beziehungen vereinbart. Die Übereinkunft stößt in der Region auch auf Kritik.

Derzeit unterhalten die Türkei und Armenien keine diplomatischen
Beziehungen. Die Grenze zwischen beiden Ländern ist seit 1993
geschlossen. Damals hatten armenische Truppen die zu Aserbaidschan
gehörende, aber überwiegend armenisch besiedelte Enklave Berg-Karabach
besetzt. Die Türkei hat den Einmarsch der Armenier immer wieder
kritisiert. Im September 2008 lud allerdings der armenische Präsident
Sersch Sarkisjan seinen türkischen Kollegen Abdullah Gül zu einem
Fußballspiel der beiden Nationalmannschaften nach Jerewan ein. Seitdem
hat Tauwetter in den armenisch-türkischen Beziehungen eingesetzt.

Im Unterschied zu Jerewan, das für eine Aufnahme diplomatischer
Beziehungen ohne Vorbedingungen eintritt, stellt Ankara für den Aufbau
bilateraler Beziehungen gleich mehrere Forderungen: In erster Linie
solle Armenien aufgeben, die internationale Anerkennung des Genozids an
den Armeniern im Osmanischen Reich zu verlangen. Ferner müsse das Land
sich aus der Enklave Berg-Karabach zurückziehen.

Trotz dieser Forderungen könnte tatsächlich die Zeit für historische
Entscheidungen gekommen sein. Beobachter vermuten, dass eine Annäherung
vor allem durch die Besuche des amerikanischen Präsidenten in der
Türkei und des türkischen Premierministers in Moskau vorangetrieben
werden konnte.

Grenzöffnung würde beiden Seiten nutzen

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Armenien und der
Türkei sowie die daraus resultierende Öffnung der Grenze und damit auch
der Eisenbahn- und Straßenverbindungen würden der gesamten Region
nutzen. Die neuen Verkehrswege würden allen offen stehen. Das könnte
den Handel fördern und die Transitmöglichkeiten erweitern. Möglich
würden neue gemeinsame Projekte.

Nach Schätzungen von Experten verursacht die geschlossene Grenze
Armenien jährlich einen Schaden von fast einer halben Milliarde Dollar.
Trotz dieser Umstände erreicht der armenisch-türkische Handel, der über
Drittländer abgewickelt wird, 150 Millionen Dollar. Viele türkische
Geschäftsleute sind ernsthaft an armenischen Rohstoffen und einem
Ausbau des Handels und der Verkehrsverbindungen interessiert. Das
armenische Eisenbahn-Netz könnte der Türkei den Weg nach Zentralasien,
aber auch nach Russland öffnen.

Für Armenien würden die Ausgaben und der Zeitaufwand beim
Frachtverkehr nach Europa deutlich reduziert. Auch die Preise für
türkische Waren, die heute nach Armenien über Drittländer geliefert
werden, würden fallen. Schließlich könnten Armenier, die beispielsweise
in Antalya Urlaub machen wollen, ihr Reiseziel in wenigen Stunden
erreichen.

Widerstand gegen diplomatische Beziehungen

Die Türkei als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reichs lehnt es ab,
den Massenmord an Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Genozid
anzuerkennen. Deswegen ist bis heute aus Sicht vieler Armenier die
Türkei ein Staat, dem man nicht trauen kann. So meinte der ehemalige
armenische Parlamentspräsident Tigran Torosjan, die Diskussion über
eine Grenzöffnung sei nur ein geschickter Zug der Türkei, um die
Anerkennung des Genozids zu verhindern. Kritiker einer Annäherung
beider Länder in Armenien fürchten überdies eine wirtschaftliche
Expansion der Türkei. Der gigantische türkische Markt könnte die
gesamte Wirtschaft Armeniens einfach schlucken, heißt es in Jerewan.

Gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Türkei
und Armenien ist vor allem das Nachbarland Aserbaidschan. Türkischen
Zeitungen zufolge drohte Baku der Türkei ganz offen, sich aus
gemeinsamen Projekten zurück zu ziehen, darunter auch im
Energiebereich. Der stellvertretende aserbaidschanische Außenminister
Mahmud Mamedkulijew verlangte, die Entwicklung der armenisch-türkischen
Beziehungen müsse an eine Lösung des Berg-Karabach-Konflikts gebunden
werden.

Autor: Aschot Gasasjan / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Bernd Johann

 

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