Armenier erinnern an Hrant Dink und Erleben eine Maskerade

Er war die Stimme der Armenier in der Türkei und er war eine der herausragenden Stimmen der demokratischen bürgerlichen Zivilgesellschaft in der Türkei – seit zwei Jahren ist diese Stimme verstummt. Der Zentralrat der Armenier in Deutschland (ZAD) und mit ihm die Armenier in aller Welt gedenken auch in diesen kalten Januartagen wieder des Journalisten Hrant Dink, der vor zwei Jahren, am 19. Januar 2007, ermordet wurde.

Wir müssen uns daran erinnern, dass Dink damals wegen "Verunglimpfung des
Türkentums" auf Basis des berüchtigten § 301 strafrechtlich verfolgt wurde,
dass mit ihm die Rede- und Pressefreiheit in der Türkei auf der Anklagebank
gesessen hatten. Sein jugendlicher Mörder, verführt von einer maßlosen Justiz,
hat ihn fast folgerichtig im Namen der Ehre hinterrücks erschossen. Der ZAD
nimmt den zweiten Jahrestag der Ermordung Hrant Dinks erneut zum Anlass, von
der Europäischen Union endlich klare Richtlinien für weitere Aufnahmeverhandlungen
mit der Türkei zu formulieren: dazu gehören beispielsweise die vollständige
Herstellung von Pressefreiheit und Redefreiheit, die uneingeschränkte
Einhaltung der Menschenrechte, freie Religionsausübung u.a. für armenische,
griechische und  aramäische Christen, Anerkennung des Völkermords von 1915
und damit die Wiederherstellung der Würde der eineinhalb Millionen Opfer. Eine
unverzichtbare Lehre aus der Ermordung Hrant Dinks für Europa aber muss sein,
dass der Völkermord nicht nur in allen Mitgliedsländern explizit anerkannt
wird, sondern dass grundsätzlich die Leugnung von Völkermord strafrechtlich
verfolgt wird, wie es etwa in der Schweiz längst der Fall ist. Nur so kann
verhindert  werden, dass immer wieder Völkermordleugner in Europa unterwegs
sind und Hass säen. Und nur so kann die zaghaft sichtbare intellektuelle
Opposition in der Türkei ermutigt werden, ihren Weg aus der Nische einer
verschwiegenen Opposition hin zu einer offenen Bürgergesellschaft zu gehen.


Hrant Dink war jemand, der diesen Weg gehen wollte. Er ist gescheitert. Mit ihm
starb auch die Hoffnung, dass Versöhnung ohne den mühevollen Weg der
Anerkennung möglich sei. Diese Hoffnung, so müssen wir es mit dem Abstand von
zwei Jahren sehen, war eine Illusion. Wer heute Dinks Texte wieder liest, wird
die Trauer über diesen Verlust noch einmal mit aller Wucht empfinden. Es wird
viele mutige Menschen benötigen, um den Prozess der Anerkennung doch noch zu
beschleunigen und der Türkei den Weg einer politischen Umkehr zu weisen. Nur so
wird dieses Land die große Chance erkennen können, die darin liegt, seine
eigene Geschichte anzuerkennen und endlich frei zu werden von den Zwängen einer
Jahrzehnte alten Lüge: Entfesselung als Akt der Befreiung.

Der ZAD registriert, dass in jüngster Zeit eine Gruppe türkischer Bürger im
Internet eine Petition veröffentlicht hat, in der sie die Armenier für die an
ihnen begangenen "Massaker" des Jahres 1915 um Verzeihung bitten.  Aufgrund von Aussagen einiger Initiatoren
dieser Aktion in Zeitungsartikeln sowie in öffentlichen Kommentierungen und
Interviews, allen voran durch die Äußerungen des Initiators Prof. Baskin Oran,
wird es deutlich, dass die Aktion "Ich entschuldige mich" eine PR-Maskerade
darstellt, mit dem Zweck, Diskussionen in verschiedenen Parlamenten bezüglich
der Anerkennung des Genozids der Türkei an den Armeniern zu verhindern und
blockieren. Dies geschieht auf Kosten von vielen Tausenden Internet-User, die
die Aktion per Unterschrift solidarisieren. 
Eine Entschuldigung für die historischen Vernichtungstaten der Türkei zu
erbitten, ist und bleibt einzig und allein die Aufgabe der türkischen
Regierung.

 

Zentralrat der
Armenier in Deutschland

Der
Vorstand

Frankfurt
am Main, 19.01.2009