von Jan Keetman, Istanbul
Die
Diskussion um die Herkunft des türkischen Staatsoberhauptes Abdullah Gül hat
sich so zugespitzt, dass inzwischen sogar ein Gentest im Gespräch ist, um die
Abstammung des Politikers zu klären.
Der
Hintergrund des »Falles Gül« ist schnell erzählt: Der Präsident hatte einen im
Internet verbreiteten Aufruf zur privaten Entschuldigung für den Völkermord an
den Armeniern im 1. Weltkrieg nicht verurteilt. Darauf behauptete die
Abgeordnete der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Canan
Aritman, Gül habe so reagiert, weil seine Mutter Adviye Gül armenischer
Abstammung sei. Behauptungen dieser Art sind in der Türkei nicht eben selten. In
den Buchläden stapeln sich etwa massenhaft Bücher, in denen behauptet wird, es
sei erwiesen, dass Abdullah Gül und Regierungschef Tayyip Erdogan jüdischer
Abstimmung seien, was sie in den Augen der Leser suspekt machen soll. Erdogan
allerdings hatte den Aufruf scharf verurteilt und ist diesmal aus dem Schneider.
Dass nun
aber eine Abgeordnete mit solcherart »Vorwürfen« Politik macht und von ihrer
Parteiführung nur äußerst milde dafür getadelt wird, hat eine neue Qualität.
Gül fühlte sich genötigt, öffentlich zu erklären, dass alle seine Vorfahren
seit Jahrhunderten Türken und Muslime gewesen seien. Kurz darauf kündigte er
an, er werde Canan Aritman auf eine Türkische Lira Schadensersatz verklagen.
Gül war sichtlich bemüht zu verhindern, dass der entsprechende Prozess nicht
selbst wieder zu einer Beleidigung der Armenier wird. Deshalb wohl auch die nur
symbolische Geldforderung.
Die
eigentlich Geschädigten sind jedoch sicher die in der Türkei lebenden etwa 50
000 Armenier. Eine Zeitung zitierte eine Armenierin aus Istanbul mit den
Worten: »Wenn es schlimm ist, eine armenische Mutter zu haben, was ist dann mit
mir?«
Canan
Aritman ist indes weit entfernt davon nachzugeben. Mit dem Prozess
konfrontiert, erklärte sie vorsorglich, kein Stammbaum könne die ethnische
Zugehörigkeit eines Menschen belegen. Heutzutage könne so etwas
wissenschaftlich und juristisch nur durch einen Gentest bewiesen werden. Damit
hatte sie Gül eine Falle gestellt, denn die Vorstellung, der Präsident der
Türkei müsse wegen einer Äußerung - oder besser gesagt, weil er eine bestimmte
Kritik unterlassen hat - zum Gentest erscheinen, ist natürlich absurd.
Verweigert er sich jedoch, so bleibt die Behauptung Aritmans im Raum stehen.
Ein wenig ist allerdings Gül selbst schuld, dass er in die Falle geraten ist,
denn mit seiner Erklärung über seine türkischen und muslimischen Vorfahren hat
er sich selbst auf diese Ebene begeben.
Inzwischen
hat Aritman erklärt, sie werde jeden, der sie als Rassist oder Nazi bezeichnet,
wegen Beleidigung verklagen. Vor der absehbaren Überlastung der türkischen
Justiz kann es einem da nur grauen. Vielleicht bekommt auch die Sozialistische
Internationale Arbeit - mit einem Ausschlussverfahren gegen die CHP.