Von Wolfgang Günter Lerch
Es begann im Sommer mit einem Streit um Land. Doch mittlerweile ist der
Streit um das Kloster Mor Gabriel in der Nähe der Stadt Midyat in der Provinz
Mardin im Tur Abdin in der Südosttürkei weiter eskaliert. Gegen den Erzbischof Timotheos
Samuel Aktas selbst wurde, wie aus Midyat berichtet wird, von drei
Bürgermeistern aus der Umgebung Anzeige erstattet. Dem Kloster war vorgeworfen
worden, verbotenerweise bauliche Veränderungen vorgenommen, Teile abgerissen
sowie auf muslimischen Gräbern gebaut zu haben. Mor Gabriel hatte Mauern
errichtet, um die eigenen Äcker und Wälder zu schützen. Nun muss sich der
Bischof sogar gegen den absurden Vorwurf wehren, das Kloster habe eine Moschee
zerstört.
Das Kloster Mor Gabriel ist Zentrum der syrisch-orthodoxen Kirche im Gebiet
des "Berges der Gottesknechte" - so die Übersetzung von Tur Abdin -
und entstand schon im Jahre 397 nach Christus. Es ist eines der ältesten
Klöster der Christenheit überhaupt. In dem Kloster leben 75 Mönche und Nonnen;
ungefähr vierzig Schüler erhalten Unterricht in der Sprache Turoyo, die eine
Abart des Syrisch-Aramäischen (Syriac) ist. Im Sommer hatten drei Dörfer in der
Umgebung Anspruch auf den Boden erhoben, auf dem dieses uralte Symbol
christlicher Kultur im Orient steht. Das Kloster habe zudem bei Umbauten und
durch das Hochziehen von Mauern ihre Dorfgrenzen verletzt sowie hundert Hektar
Wald und Weideland, das man für das eigene Vieh benötige,
"okkupiert".
Ein erstes Urteil hatte zu einer Festlegung auf erst unlängst erstellte
Kataster durch das zuständige Amt geführt, die dem Kloster allerdings zu einem
gebietsmäßigen Nachteil gereichen. Das Kloster beruft sich auf seinen Status
als Stiftung, auf die alten Eigentumstitel aus der osmanischen Zeit und auf
Abmachungen mit den kurdischen Aghas in der Region nach dem Zweiten Weltkrieg.
Auch habe der Landrat vor Jahren dem Bau eines Hubschrauberlandeplatzes und
eines Fußballfeldes für die Schüler zugestimmt, ohne dass die Bürgermeister
dagegen jemals Einspruch erhoben hätten.
In den vergangenen Jahrzehnten hatte der größte Teil der Syrisch-Aramäisch
sprechenden, christlichen Bevölkerung (Süryani) den Tur Abdin verlassen. Erst
in jüngster Zeit hat eine Rückkehrbewegung eingesetzt, die auch zu einer
Belebung des Klosters Mor Gabriel führte. Längst ist es wieder zu einem
Pilgerort für die syrisch-orthodoxen Christen geworden. Unter den zehn
Anklagepunkten, welche die Bürgermeister von Yayvantepe, Eglence und Çandarli
jetzt dem Erzbischof vorhalten, ist besonders der dritte interessant: "Die
Kirche ist aktiv bei der Ausführung von missionarischen Tätigkeiten mittels
Kindern zwischen zehn und zwölf Jahren (damit sind offenkundig die Schüler
gemeint), deren Herkunft unbekannt ist." Vieles spricht dafür, dass eher
die christliche Erziehung als der Streit um bauliche Veränderungen der
wirkliche Hintergrund dieser Ereignisse ist. Nationalisten und religiöse
Eiferer lehnen ein christliches Engagement als angeblich "bedrohlich"
für den türkischen Staat ab (99 Prozent aller Türken sind Muslime), der aber
offiziell als laizistisch gilt. So mag dieses juristische Kesseltreiben gegen
das Kloster eher politische als rechtliche Hintergründe haben... Am 19., 24.
und 31. Dezember wird in der Sache weiter verhandelt werden. Es sieht so aus,
als wollten sich die Nachbarn mit Hilfe eines Strafprozesses den Grund
und Boden Mor Gabriels (zumindest teilweise) aneignen. Angesichts der ohnehin
üblen Situation der Christen und anderer Minderheiten in Teilen des
irakisch-syrisch-türkischen Grenzgebietes kommt diesen Ereignissen eine
zusätzliche politische Brisanz zu.
Normal
0
21
MicrosoftInternetExplorer4
<![endif]-->