Türkei und Armenien - „Wir entschuldigen uns“

Türkische Intellektuelle wollen im Internet die Debatte um den Massenmord an Armeniern entfachen - über 2000 haben bereits unterschrieben, darunter auch ein deutscher Obergrüner.

Istanbul
- „Ich entschuldige mich." In diesem einfachen Satz steckt viel Sprengkraft,
wenn es um die Türkei und um die Armenier geht. Mit einer noch nie da gewesenen
Initiative hat sich am Montag eine Gruppe Intellektueller in der Türkei im
Internet zu Wort gemeldet, um ein Tabu zu brechen und sich bei den Armeniern
für die türkischen Massaker im Ersten Weltkrieg zu entschuldigen. Bis zum
Nachmittag hatten sich mehr als 2000 Menschen der Aktion angeschlossen,
darunter auch Grünen-Chef Cem Özdemir.

„Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dass die große Katastrophe,
der die osmanischen Armenier 1915 ausgesetzt waren, ohne Sensibilität behandelt
und geleugnet wird. Ich weise diese Ungerechtigkeit zurück, ich persönlich
teile die Gefühle und den Schmerz meiner armenischen Brüder, und ich
entschuldige mich bei ihnen", lautet die Erklärung der Gruppe auf der
Internetseite www.ozurdiliyoruz.com. „Özür diliyoruz" bedeutet „wir
entschuldigen uns".

Der Politikwissenschaftler Cengiz Aktar, einer der führenden Köpfe der
Initiative, sieht Parallelen zwischen der Internetentschuldigung und der
deutschen Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ziel sei es,
möglichst viele Menschen anzusprechen. Statt von „Völkermord" ist von der
„Großen Katastrophe" die Rede - jenem Begriff, den auch die Armenier selbst
verwendeten, sagte Aktar. Den Teilnehmern der Aktion geht es weniger um
Schuldzuweisungen als darum, eine Diskussion zu eröffnen. Der Soziologe Ferhat
Kentel brachte es in der Zeitung „Vatan" auf den Punkt: „Es gab eine Million
Armenier. Heute gibt es noch 60 000. Das bedeutet, sie sind nicht mehr da." Er
wolle wissen, warum damals so viele Menschen sterben mussten.

Wenn es nach den türkischen Nationalisten ginge, würden solche Fragen nicht
gestellt. Es gebe keine Verbrechen, für die sich die Türken zu entschuldigen
hätten, sagt der Chef der Nationalistenpartei MHP, Devlet Bahceli. Die Türkei
lehnt den Vorwurf eines Völkermordes ab und argumentiert, die Armenier seien
während einer Umsiedlungsaktion ums Leben gekommen. Susanne Güsten