20 Jahre nach dem Erdbeben in Armenien

Bei Naturkatastrophen ist die internationale Hilfsbereitschaft groß - doch nach wenigen Wochen meist vorbei. Vor 20 Jahren wurde Armenien von einem Erdbeben heimgesucht. Tausende leben bis heute in Notunterkünften.




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"Es
ist sehr eng hier, der Platz reicht nicht aus, der Boden hat Löcher und ist
durchgerostet. Die Ratten lassen uns keine Ruhe. Was soll ich noch sagen, es
ist eine furchtbare Situation." Tamara Harutunjan ist verbittert. Seit
zwei Jahrzehnten lebt sie in einem Metallcontainer in Giumry - mit drei Enkeln,
dem Sohn und der Schwiegertochter. Die Winter sind besonders hart: Außen
Temperaturen bis minus 25 Grad - innen nur ein einfacher Holzofen. Tamara
Harutanjan wird immer kränker, ihre Lungen sind angegriffen und auch die Enkel
husten.

Früher
bewohnte die Familie eine Wohnung mit Heizung in einem Hochhaus. Früher - das
war vor dem Beben, das im Dezember 1988 alles zerstörte. Tamara Harutunjan
überlebte, weil sie und ihre Familie vom Balkon sprangen. Fünf Verwandte hat
die ältere Frau bei dem verheerenden Erdbeben verloren, das die Region um die
armenische Stadt Leninakan - heute Gjumry - erschütterte. Insgesamt starben
damals 25.000 Menschen, 150.000 wurden schwer verletzt. Die Stadt glich einem
Trümmerfeld, große Teile der Industrie Armeniens wurden zerstört.

Neue
Wohnungen nur für Reiche

In den
ersten Nächten nach der Katastrophe hausten die Obdachlosen in Zelten. Dann
habe man sie in die Container gebracht, erinnert sich Tamara Harutunjan.
Politiker und Hilfsorganisationen aus dem Westen versprachen neue Häuser. Und
tatsächlich rückten LKWs und Kräne an und zogen ganze Blocks
hoch. Doch Tamara Harutunjan und ihre Familie haben bis heute keine
Wohnung bekommen. Kein Einzelfall, meint Christina Pogosyan, freiwillige
Mitarbeiterin einer französischen Hilfsorganisation. Sie schätzt, dass rund
2000 Menschen noch immer in den kalten Metallhütten leben müssen.

In die
neuen Häuser in den nach den Erbauern benannten Stadtteilen -
"Deutsches", "Österreichisches" oder "Norwegisches
Viertel" - sind andere eingezogen, denn die Immobilien sind begehrt
und längst zu lohnenden Investitionsobjekten geworden. "Diese Wohnungen
bekommen nur die reichen Leute. Es gibt Leute, die haben sogar drei und vier
Wohnungen. Wir können uns das nicht leisten. Für eine Wohnung im
Österreichischen Viertel werden 15.000 Dollar verlangt", beklagt die
Schwiegertochter von Tamara Harutunjan, Narime.

Geschäfte
machen nicht nur Spekulanten, selbst Stadtbeamte hielten die Hand auf, glaubt
die junge Frau. Der Bürgermeister habe ihr schon oft eine Wohnung versprochen -
gehalten habe er aber nichts. Gleichzeitig habe sie von Leuten gehört, die eine
bekamen, weil sie 3000 bis 4000 Dollar bezahlten. Auch Christina Pogosvan
beobachtet, dass die Probleme der Obdachlosen auf wenig Interesse bei den
Politikern stießen.

Keine
Wohnung, keine Arbeit, keine Hoffnung

Auch die
kalten Metallgehäuse sind teuer - rund 1000 Dollar verlangt die Stadtverwaltung
für das Bleiberecht. Viel Geld für die Familie Harutanjan: "Sieben
Kubikmeter Holz brauchen wir für den Winter. Wir sparen beim Brot, um heizen zu
können", sagt Tamara. 15.000 Dram kostet ein Kubikmeter Holz. Sie erhält
22.000 Dram Rente, gerade einmal 48 Euro.

Ihre
Schwiegertochter Narime versucht seit Jahren vergeblich Arbeit zu finden, denn
das Erdbeben zerstörte auch die gesamte Industrie der Region. Kaum einer der
Betriebe wurde neu aufgebaut. Die Hoffnung auf eine der neuen Wohnungen, die
nach dem Beben mit westlicher Hilfe gebaut wurden, hat sie aufgegeben. Sie
hofft, dass ihr Mann in Russland eines Tages soviel verdienen wird, dass er die
Familie nachholen kann. Eines steht für sie fest - 20 Jahre nach dem Beben gibt
es für sie nur eines: Nur weg aus Gjumry, weg aus Armenien.