Die
Verurteilung des armenischen Journalisten Hrant Dink wird zwar kritisiert, aber es wird
verschwiegen, dass er erneut angeklagt wurde, weil er das Verbrechen an den
Armeniern als Völkermord bezeichnet hat. Als im vergangenen Jahr der § 301
eingeführt wurde, der die „Beleidigung des Türkentums, der Republik sowie der
Organe und Einrichtungen des Staates" unter Strafe stellt, hat die EU leider
geschwiegen. Dabei hatten türkische Intellektuelle und Journalisten schon
damals davor gewarnt, dass dieser Paragraph dazu dienen würde, die
Meinungsfreiheit einzuschränken.
Obwohl
Armenier, Griechen und Juden als Minderheit gemäß dem Vertrag von Lausanne
offiziell anerkannt sind, werden ihre national-kulturellen Rechte nicht
respektiert. Aufgrund der fortwährenden
Diskriminierung nimmt die Zahl der in der Türkei verbliebenen Armenier,
Griechen und Juden ständig ab. Die
angeblichen Reformen in der heutigen Türkei erinnern an die Reformen, die zu
Beginn des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich auf Druck der europäischen
Großmächte durchgeführt wurden: Sie existieren leider nur auf dem Papier!
In dem
Fortschrittsbericht wird erwähnt, dass es auch nach dem Briefwechsel zwischen
den armenischen Präsidenten Robert Kotscharian und dem türkischen
Ministerpräsidenten Erdogan zu keiner Bewegung in den armenisch-türkischen
Beziehungen gekommen ist. Es wird allerdings verschwiegen, dass der armenische
Präsident auf den Brief Erdogans geantwortet hat. Darin hat er dem türkischen
Regierungschef mitgeteilt, dass Armenien bereit ist alle bestehenden Probleme
in einer gemeinsamen Kommission zu erörtern und nach Lösungen zu suchen. Die
Normalisierung der bilateralen Beziehungen scheitert aber an der Weigerung der
Türkei, die Grenzen zu Armenien zu öffnen und diplomatische Beziehungen
aufzunehmen. Die Türkei behindert mit ihrer politischen und militärischen
Unterstützung Aserbaidschans auch eine friedliche Lösung der Berg-Karabach
Frage.
Ein Jahr
nach Beginn der Beitrittsverhandlungen wächst in der EU der Unmut über die
mangelhafte Umsetzung der Reformversprechungen in der Türkei. Die armenische
Gemeinschaft in Deutschland erwartet, dass die EU mit Nachdruck auf die
konsequente Erfüllung aller politischen Kriterien von Kopenhagen beharrt. Vor
allem die Einhaltung der Minderheitenrechte, der Meinungs- und
Religionsfreiheit muss endlich
gewährleistet werden.
Wenn die EU aus wirtschaftlichen und geopolitischen
Erwägungen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fortsetzt, obwohl dort
keine grundlegenden Fortschritte erkennbar sind, wird dies langfristig der
gesamten EU Schaden. Sie wird auch den leider noch schwachen demokratischen
Kräften in der Türkei keinen guten Dienst erweisen, wenn sie sich bei den
Verhandlungen mit der türkischen Regierung zu nachgiebig zeigt.
Zentralrat der
Armenier in Deutschland
Frankfurt
am Main, 09.11.2006