'Brennpunkt': Die Türkei

Freiheit für Nichtmuslime nur auf dem Papier

Es gab Grund zur Hoffnung. Der Wunsch der Türkei nach einer
EU-Mitgliedschaft der ersten Klasse nährte Erwartungen, dass sich
Positives auch in Fragen des Minderheitenschutzes und der
Religionsfreiheit tut. Sie haben sich nicht erfüllt. Christen,
Alewiten, Juden und Armenier führen in der Türkei ein Leben in
Bedrängnis.
Nichtmuslimische Minderheiten in der Türkei genießen zwar offiziell
nach dem Vertrag von Lausanne (1923) das Recht auf eigene Schulen und
die Verwendung ihrer Sprache in den Lehrstätten. In der Praxis stellt
sich das anders dar. Nach neuer Gesetzeslage dürfen nur jene Angehörige
nichtmuslimischer Minderheiten diese privaten Schulen besuchen, die
türkische Staatsbürger sind. Das hat Folgen:
Das Priesterseminar auf der vor Istanbul gelegenen Insel Heybeli ist
geschlossen. Bis 1971 wurden dort griechisch-orthodoxe Geistliche
ausgebildet. Jetzt fehlt der Nachwuchs. Die wenigen in der Türkei
verbliebenen Griechen, die dazu noch eine türkische Staatsbürgerschaft
besitzen, könnten heute ohne ausländische Theologen den Unterricht kaum
stemmen.
Die problematische Einengung des Lausanner Vertrages soll vor allem
einen treffen: den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel,
Bartholomaios I. Er ist nicht nur das geistliche Oberhaupt der kleinen
griechisch-orthodoxen Minderheit in der Türkei, sondern auch der
geistliche Führer aller orthodoxen Christen, und damit von mehr als 300
Millionen Gläubigen. Dem 68-Jährigen werden wo immer möglich Steine in
den Weg gelegt. Selbst vor Übergriffen ist er nicht sicher.
Auch andere nichtmuslimische Minderheiten befinden sich juristisch
gesehen in einem Niemandsland. Obwohl sie seit Jahrhunderten auf dem
Gebiet der Türkei leben, existieren juristisch gesehen weder das
jüdische Oberrabbinat noch die christlichen Kirchen. Das führt im
Alltag zu Besitzstreitigkeiten und dazu, dass beim Verkauf einer
kirchlichen Immobilie das Geld in eine staatliche Stiftungsbank
einbezahlt werden muss. Dort wird es dann eingefroren. eth