-Herr
Präsident, Sie haben vergangene Woche in Moskau mit dem aserbaidschanischen
Präsidenten vereinbart, der Streit über Nagornyi Karabach zu regeln, der Ihre
Beziehungen so lange belastet. Wie geht
es nun weiter?
-Für uns war wichtig, dass ein
Dokument unterschrieben wurde, in dem eine militärische Lösung ausgeschlossen
wird. Es handelt sich allerdings nur um
eine Erklärung, wir hätten gerne einen Vertrag. Aber ich möchte die Bedeutung des Dokuments
nicht herunterspíelen. Ich bin
froh, dass Aserbaidschan ein Papier
unterschrieben hat, in dem alle Grundsätze des Völkerrechts zur Lösung des
Konflikts anerkannt werden und nicht nur der der territorialen Integrität. Es ist auch gut, dass die Rolle der
Minsk-Gruppe mit den Kovorsitzenden Amerika, Russland und Frankreich als
Vermittler hervorgehoben wurde, nachdem es jüngst so viele Diskussionen über die
Wirksamkeit der Gruppe gab.
-Sind
Sie denn bereit, Ihre Truppen aus den sieben Gebieten um Karabach abziehen, wie
das gefordert wird?
-Der Kern des Konflikts ist der
Status von Nagornyi karabach.
Aserbaidschan muss das Recht der Bewohner auf Selbstbestimmung
anerkennen. Wenn das Problem gelöst ist, dann wird anderes folgen. Die Kontrolle
über das Gebiet ist kein Ziel an sich, sondern eine Maßnahme zum Schutz
Karabachs. Wir brauchen jetzt
Verhandlungen über ein Grundsatzdokument und dann einen Friedensvertrag. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
-Sie
stammen selbst aus Karabach. Kann das
Gebiet als autonome Region in Aserbaidschan bleiben?
-Es geht darum, Bedingungen
herzustellen, dass sich die Bevölkerung in Sicherheit entwickeln kann. Die Geschichte hat gezeigt, dass das in
Aserbaidschan nicht möglich ist. Wir
haben nie geglaubt, dass Karabach in Aserbaidschan bleiben kann, egal mit
welchem Status.
-Sie
waren jetzt in Brüssel. Kann die EU bei
der Konfliktlösung behilflich sein?
-Europa sollte sehr bestimmt darauf
hinweisen, wenn eine Partei die friedliche Natur des Prozesses untergräbt. Außerdem wird für die Partei, die nicht
konstruktiv ist, ein Anreiz geschaffen,
wenn eine internationale Organisation sagt,
dass ein Konflikt nur mit einem ganz bestimmten Grundsatz des
Völkerrechts gelöst werden soll. Amerika
und einige europäische Staaten haben im Fall des Kosovos das Recht auf
Selbstbestimmung angewandt. Als Russland
das gleiche machen wollte, haben sie das abgelehnt.
-Aber
Sie haben doch Südossetien und Abchasien auch nicht
anerkannt?
-So ist es, denn das Kosovo erkennen
wir ebenfalls nicht an. Wir haben kein
Recht, diese Staaten anzuerkennen, bevor wir Nagornyi Karabach anerkennen. Das
würde unser Volk nicht verstehen. Jetzt
werden Sie mich fragen, warum wir dann nicht die Unabhängigkeit Karabachs
anerkennen. Wir glauben, die Anerkennung
ist der letzte Schritt im Prozess. Wir
sind nicht stark genug, um zu sagen, wir erkennen Karabach unilateral an, und
damit hat sich die Sache erledigt.
-Welche
geopolitischen Folgen hat der Georgienkrieg für
Sie?
- Die Ereignisse haben gezeigt, wie
verwundbar die ganze Region ist.
Georgien ist extrem wichtig für uns, weil siebzig Prozent unseres
Außenhandels durch das Land gehen. 350 000 Armenier leben dort. Zurgleich sind wir ein strategischer
Verbündeter Russlands. Das müssen wir in
Übereinstimmung bringen, was uns gut gelungen ist. Wir haben grundlegende
Differenzen mit Georgien, haben aber alles vermieden, was als Feindseligkeit
gegen das Land gesehen werden konnte. Und obwohl sich durch den Krieg in der Region
vieles verändert hat, kann ich Gott sei Dank sagen, dass die
russisch-armenischen Beziehungen nicht gelitten haben.
-Sie
sind Mitglied im Partnerschaftsprogramm der Nato. Lautet eine Lehre aus dem Krieg, dass die
Allianz im Kaukasus nichts verloren hat?
-Diese Wortwahl würde ich nicht
teilen. Dann könnten wir ja unsere
Beziehungen mit der Nato nicht weiterentwickeln. Wir glauben, dass die Zusammenarbeit mit der Nato Teil
unseres Sicherheitssystems ist. Wir wollen allerdings nicht Mitglied
werden. Neue Trennlinien in dieser
Region zu ziehen, kann höchst gefährlich sein.
Das ist die Lehre aus dem Georgienkrieg.
-Sollten
Ihre Nachbarn aufhören, die Nato-Mitgliedschaft anzustreben?
-Ich kann nicht für andere Länder
sprechen. Unsere Politik bestand in den
vergangenen zehn Jahren darin, einen Ausgleich zwischen den Interessen Amerikas,
Russlands und der Nato zu suchen. Einen Vorteil aus den Differenzen dieser
Mächte zu ziehen, mag sehr attraktiv sein, ist aber auch sehr gefährlich.
-Sie
haben kürzlich den türkischen Präsidenten zu einem Fußballspiel nach Armenien
eingeladen, was in aller Welt begrüßt wurde. Die Türken schlagen nun vor, eine gemeinsame
Historikerkommission einzusetzten, um den Genozid an den Armeniern 1915 zu
untersuchen. Wäre das Hilfreich?
-Das ist absolut nicht nötig. Wir
sehen nicht, dass damit irgendetwas erreicht werden könnte. Wir wollen
diplomatische Beziehungen zwischen unseren Ländern aufnehmen, die Grenze öffnen
und dann einen Regierungsaustausch, der alle Fragen behandelt, die Nachbarländer betreffen. Die Anerkennung des Völkermordes durch die
Türkei sollte keine Vorbedingung für die Aufnahme von Beziehungen sein. Wir
werden das nicht um jeden Preis tun. In
Europa mussten die Länder auch keine Historikerkommissionen einsetzen, um
normale Beziehungen zu entwickeln. So
etwas kann ein Versuch sein, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft
von der Sache abzulenken, vor allem wenn es Jahre dauert.
-Kommt
Armenien langfristig ebenfalls als Transitland für Energielieferungen nach
Europa in Frage – so wie heute Georgien?
-Wir sollten nicht versuchen,
jemanden zu ersetzen. Aber wir haben schon die Absicht, alternative Lieferwege
zu schaffen. Wir wollen unsere Beziehungen mit der Türkei und Aserbaidschan
wiederherstellen. Wir wollen auch eine
Eisenbahn in Nord-Süd-Richtung bauen, um Armenien mit Iran zu verbinden. Je mehr Infrastruktur wir haben, desto
attraktiver und sicherer ist Armenien.
Die
Fragen stellte Nikolas
Busse.