Ein übertünchter Skandal: Der türkische Präsident in Armenien

Der Besuch des türkischen Präsidenten Gül anlässlich eines Fußballspiels in Armenien wird in der deutschen Presse – und offenbar auch in Teilen der europäischen Politik – überwiegend positiv bewertet.

Der Zentralrat der Armenier in Deutschland
(ZAD) sieht diese “Fußballdiplomatie” sehr viel kritischer und mahnt zu
vermehrter Aufmerksamkeit gegenüber allen Versuchen, mittels
vereinzelter Fortschritte in praktischen politischen Fragen die
zentrale Problemlage im Verhältnis Türkei-Armenien zu übertünchen: den
Völkermord von 1915 und die militante Weigerung der Türkei, diesen
Genozid an den Armeniern endlich anzuerkennen.

ZAD begrüßt die Tatsache, dass die türkische Führung endlich
Dialogbereitschaft zeigt und dass möglicherweise Erleichterungen im
Grenzverkehr zwischen beiden Ländern sowie eine Lösung des
Karabach-Problems in Sichtweite rücken. Wir halten es allerdings für
einen ungeheuerlichen Skandal, dass der türkische Präsident nach
Armenien reist, ohne dort auch nur ein einziges Wort über den
Völkermord zu sagen, geschweige denn, eine Bitte um Entschuldigung zu
formulieren.

Hätte man sich denn wohl in Deutschland vorstellen können, dass ein
deutscher Bundespräsident zu einer ersten Reise nach Israel
aufgebrochen wäre und dort kein einziges Wort über den Holocaust
verloren hätte? Der ZAD appelliert an die deutsche Öffentlichkeit, sich
einmal in die Lage der Völkermordopfer und ihrer Nachfahren zu
versetzen und dann den Schmerzen nachzuspüren, die eine solche
Diplomatie hinterlassen muss.

Armenien habe schon immer das Gespräch ohne Vorbedingung gesucht, die
Türkei allerdings habe diesen Dialog bisher strikt verweigert; insofern
könne man dem Präsidenten durchaus ein erhebliches innenpolitisches
Wagnis zugestehen, die Einladung nach Jerewan angenommen zu haben.
Wirklich Mut hätte der türkische Präsident Gül jedoch erst dann
bewiesen wenn er sein eigenes Land mit der unbestrittenen Faktizität
des Völkermords konfrontiert und dies auch offen in Armenien
kommuniziert hätte: Solange die Türkei sich nicht ihrer eigenen
Geschichte stellt, wird es keine Versöhnung geben können.

Solange die Türkei sich nicht ihrer eigenen Geschichte stellt, kann es
auch keine wirklichen Fortschritte geben, dieses Land in die
Wertegemeinschaft Europas zu integrieren.”

Zentralrat der Armenier in Deutschland
Dr. Sch. Owassapian, Vorsitzender
Frankfurt am Main, 15.9.2008