Offener Brief an Ulla Jelpke

Sehr geehrte Frau Jelpke, wir bedanken uns sehr für Ihre ausführliche Stellungnahme zu unserer Presseerklärung vom 8. August. Selbstverständlich schätzen wir Ihr Engagement und das Ihrer KollegInnen für die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern. Wir haben dies in unserer Erklärung ausdrücklich gewürdigt. Dieses Engagement verdient umso mehr Anerkennung, als es sich ja auch gegen einen bekennenden Völkermordleugner aus Ihren Reihen richtet. Nach allen Zweifeln, die selbst nach Ihrem Bremer Parteitag noch geblieben sind, stellen Sie mit Ihrer Kleinen Anfrage die Glaubwürdigkeit der LINKEN in dieser Frage verlässlich wieder her. Danke dafür.

Es liegt uns fern, die Brüche in der Person des
Dr. Johannes Lepsius zukleistern zu wollen. Sie hätten Recht mit Ihrer
These, dass wir uns mit einer solchen Haltung selbst unglaubwürdig
machten. Auf der anderen Seite gibt es keinen Grund für die Armenier in
Deutschland, sich die Erinnerung an diesen großen Menschen zerstören zu
lassen. Wir halten ihn in Ehren als den Mann, der mit seinem
humanitären Lebenswerk unzähligen Landsleuten das Leben gerettet hat
und vor allem als den Mann, der den Genozid an den Armeniern gegen die
härteste kaiserliche Zensur in Europa öffentlich gemacht hat: Ohne ihn
würden Sie und würden wir heute - zumindest mit Ihnen und mit der
deutschen Öffentlichkeit - nicht mehr über diesen ersten Völkermord des
20. Jahrhunderts reden. Es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis dieses
Verbrechen in das Gewissen der Welt eingedrungen ist. Und das hat ganz
viel mit der Person des Johannes Lepsius zu tun. Er war in dieser Frage
zu seiner Zeit mutiger als die meisten, auch linken, Politiker in all
den Jahrzehnten danach.

Es ist absolut richtig - wir stimmen Ihnen gern zu - wenn sie die
Person Lepsius auch in ihren dunkleren Facetten zeichnen. Spätestens
seit den verdienstvollen Recherchen von Wolfgang Gust wissen wir ja,
dass es Manipulationen gegeben hat. Manches, nicht alles, ist sicher
aus der Perspektive jener Zeit erklärbar. Leider haben Sie jedoch den
Focus sehr einseitig gesetzt: Darin sehen wir die Diffamierung. Die
historische Würdigung bleibt verzerrt.

Sie sagen vielleicht, wir sähen das mit einer armenischen
Brille. Genau das ist unsere Aufgabe. Darüber hinaus glauben wir aber
auch, dass die deutsche Sicht auf diese Person gut daran tut, die
unzweifelhaften Verdienste des Johannes Lepsius nicht klein zu reden.
Gerade unter Berücksichtigung der deutschen Teilhabe an drei
Völkermorden der Neuzeit ist eine Besinnung auf die Personen wichtig,
die sich zur Wehr gesetzt haben gegen die Einvernahme des ganzen Volkes
in das System von Lüge und Verdrängung. Wenn Sie den Armeniern eine
unkritische Lepsius-Verehrung unterstellen, scheint uns das unredlich.
Allerdings scheuen wir uns nicht, die Verdienste des Mannes zu
würdigen, dem wir viel verdanken.

Sie haben völlig recht, wenn Sie anmahnen, die
wissenschaftliche Beschäftigung mit den Völkermord an den Armeniern
nicht allein auf die Person des Johannes Lepsius zu zentrieren. Aber
niemand tut das, auch das Lepsius-Haus in Potsdam nicht. Uns scheint
Ihre Sorge in dieser Frage nicht angemessen. Das Lepsius-Haus hat
wichtige Aufgaben, es gibt im Zusammenhang mit dem Genozid von 1915
noch ein weites Feld für die historische Forschung, und das betrifft
selbstverständlich auch den Forschungsgegenstand der Person Lepsius
selbst.

Das Lepsius-Haus hat darüber hinaus eine weitere wesentliche
Funktion, auf die Sie überhaupt nicht eingegangen sind: Öffentlichkeit
herzustellen für die zentrale Themenstellung seiner Arbeit - den
Völkermord an den Armeniern. Wir würden es sehr begrüßen, wenn unsere
spontane Sorge unberechtigt wäre, dass Sie genau diese Art
Öffentlichkeitsarbeit mit Ihrer Initiative erschweren wollten. Sie
selbst mahnen in Ihrer Kleinen Anfrage Schritte der Versöhnung an.
Dabei wissen Sie natürlich, dass Versöhnung allein auf der Basis von
Anerkennung und Respekt funktioniert. Insofern hat das Lepsius-Haus
eine unverzichtbare Aufgabe: aufklären, aufklären aufklären! Bis das
Lügengespinst der politischen und militärischen türkischen Eliten in
Ankara und der von ihnen gesteuerten türkischen Communities in
Deutschland zusammen bricht. Dann erst kann ein aktiver
Versöhnungsprozess in Gang kommen - der dann sicher auch im Potsdamer
Lepsius-Haus eine angemessene Heimat finden wird.

Mit freundlichem Gruß

Zentralrat der Armenier in Deutschland
Sch. Owassapian, Vorsitzender