Tagungsbericht - Tagungsbericht Seminar Klausenhof

Im Rahmen des Projekts »Einbürgerung: was dann?« organisierte der Zentralrat der Armenier in Deutschland (ZAD) Mitte September ein Wochenendseminar in der Akademie Klausenhof in Dingden/Niederrhein, das sich in erster Linie an armenische Studierende richtete. Das Seminar stieß auf überaus große Resonanz.

Eröffnet
wurde das Seminar am Freitagabend mit einem Vortrag von Agnes
Heuvelmann, der Wissenschaftlichen Referentin beim
Integrationsbeauftragten der Landesregierung NRW. Frau Heuvelmann
stellte die Integrationskonzeption des Landes NRW und die spezifischen
Aufgaben der verschiedenen Behörden und Organisationen vor, die in
Nordrhein-Westfalen mit Integrationspolitik befasst sind. Sie machte
deutlich, daß Integrationshilfe in der Konzeption des Landes NRW
zugleich auf Bewahrung und Förderung der Identitäten der
unterschiedlichen Migrantengruppen angelegt sei. Frau Heuvelmann regte
an, daß die armenischen Organisationen den begonnenen Dialog mit den
Integrationsbeauftragten der Bundesländer und den mit
Integrationsarbeit befaßten Institutionen fortsetzen sollten.

Der
Samstag war hauptsächlich der Beschäftigung mit den Inhalten, Chancen
und Gefahren von verschiedenen Modellen und Konzepten für
Vergemeinschaftung vorbehalten. Einleitend skizzierte Gerd Krüger die
historische Entwicklung des »Nations«-Begriffs und stellte die beiden
wichtigsten Nationalstaatsmodelle »Staats-« bzw. »Willensnation«
einerseits und »Kulturnation« andererseits vor. Beiden Modellen des
Nationalstaats liegt letztlich die Vision einer Homogenisierung der
Bevölkerung zugrunde.

Medardus
Brehl und Mihran Dabag vertieften diese Beobachtungen durch eine
kritische Diskussion der Konzepte »ethnische Identität« und »kulturelle
Identität«, wie sie sich in der wissenschaftlichen Diskussion und
Politik der westlichen Welt durchgesetzt haben. Die beiden,
hinsichtlich ihrer Implikationen einander weitgehend entsprechenden
Gemeinschaftsbilder zeigten sich als Identitätszuweisungen an
nicht-staatliche Gemeinschaften. Bei den der jeweiligen »Identität«
zugeordneten Attributen handelt es sich um Zuschreibungen aus
nationalstaatlicher Sicht. Vor dem Hintergrund dieser kritischen
Auseinandersetzung mit den Konzepten »ethnische Identität« und
»kulturelle Identität« wurde anschließend das Vergemeinschaftungsmodell
»Diaspora« mit einem spezifischen Blick auf die armenische Erfahrung in
der Zerstreuung erörtert.

In
Folge des Völkermords, der alles beenden sollte, entstand eine Diaspora
mit unterschiedlichen Identifikationen und Verpflichtungen, die eine
nicht-territoriale Vergemeinschaftungsform mit eigenen Strukturen
gefunden hat. Sie bildet ein supranationales Netzwerk mit
unterschiedlichen Loyalitäten und Solidaritäten. Eine
Diaspora-Gemeinschaft wird durch verschiedene konstituierende
Beziehungen geprägt. Für die Armenier sind dies insbesondere die innere
Bindung der Diaspora-Gemeinschaft innerhalb eines jeweiligen Staates,
die Beziehungen zu den Diaspora-Gemeinschaften in der weltweiten
Zerstreuung, die Identifizierungen mit dem jeweiligen Gastland, die
Verpflichtung an des Verlorene und nicht zuletzt die Verantwortung für
die Republik Armenien.

Mihran
Dabag wies darauf hin, daß für die armenische Lebenswirklichkeit nach
dem Genozid die Republik Armenien und die Diaspora gleichermaßen
konstitutiv sind. Gerade diese Konstellation zeichnet die armenische
Lebenswirklichkeit aus und bietet sowohl für die Diaspora als auch für
die Republik große Chancen. Zentral sei es, ein Modell und womöglich
auch einen institutionellen Rahmen zu entwickeln, in dem diese sich
scheinbar entgegenstehenden Vergemeinschaftungsformen – die
nicht-territoriale Diaspora und die territoriale Republik – in eine
organische und effiziente Beziehung zueinander gestellt werden. Die
Beschäftigung mit der Diaspora als einer gefährdeten (da nicht
territorialen) Struktur bedeute keineswegs eine Vernachlässigung der
Republik Armenien, sondern ein Engagement für die Bewahrung und
Stärkung beider Strukturen.

Im
Anschluß betonte Mari Karaciyan-Berndt die identitätskonstitutive
Bedeutung des kollektiven bzw. kulturellen Gedächtnisses, wie es von
Maurice Halbwachs und Jan Assmann beschrieben worden ist. Im Hinblick
auf die armenische Diaspora wurde dies an drei Aspekten verdeutlicht:
anhand der Rolle der armenischen Kirche, der armenische Sprache und
Schrift sowie der erinnerungsbewahrenden Chroniken.

Der
für den Sonntagvormittag vorgesehene Vortrag von Herrn Raffi Kantian
über aktuelle Entwicklungen in der Republik Armenien mußte wegen
Erkrankung des Referenten leider ausfallen. Daher wurde die
Podiumsdiskussion über Probleme und Perspektiven der armenischen
Gemeinschaft in Deutschland, an der Artin Akyüz, Kars Aznavour, Raffi
Bedikian und Mari Karaciyan-Berndt teilnahmen, auf den gesamten
Vormittag ausgedehnt. Erörtert wurden insbesondere Möglichkeiten der
gesellschaftlichen und politischen Partizipation – so die Mitarbeit in
Parteien und Institutionen der Bundesrepublik Deutschland und die
effektivere Nutzung der unterschiedlichen Einrichtungen, Programme und
Angebote durch die armenischen Organisationen. Diesbezüglich sollte der
Zentralrat durch Informationen Hilfestellung leisten. Nachdrücklich
wurde befürwortet, die Vorstände der Gemeinden durch speziell
abgestimmte Seminare und Schulungen zu qualifizieren und ihre Arbeit zu
professionalisieren. Vor allem sollte die Kommunikation und Information
innerhalb der armenischen Gemeinschaft durch eine redaktionell
moderierte online-Zeitung verbessert werden.

Breiten
Raum nahm die Frage ein, wie die zweite und dritte Generation in das
Gemeindeleben integriert werden könne. Gerade hinsichtlich dieses
Aspektes sollten in den Gemeinden Überlegungen und Anstrengungen
unternommen werden, um Konzepte zu entwickeln, damit auch für diese
Generationen die Gemeinden zu einem Ort der Begegnung und Kommunikation
werden. Allerdings könne dies nicht allein den Initiativen der
Gemeindevorstände vorbehalten bleiben, sondern es sei auch die
Initiative der jungen Generationen selbst gefragt.

Neben
diesen Überlegungen zur gesellschaftlichen Partizipation und zur
Effizienzsteigerung der Gemeindearbeit wurden auch Möglichkeiten zur
Intensivierung der Kommunikation mit der Republik Armenien erörtert.
Besonders angeregt wurden Studienreisen in die Republik Armenien sowie
in das historische Westarmenien. Vorgestellt wurde ferner das
Andjar-Projekt, in dem in Verbindung mit Sprachkursen das Leben und der
Alltag in einem armenischen Dorf im Libanon erfahren werden kann.

Das
Seminar zeichnete sich durch überaus intensive und ausgesprochen
konstruktive Diskussionen zwischen allen Teilnehmenden aus. Durchgängig
wurde der Wunsch geäußert, derartige Seminare in regelmäßigen Abständen
anzubieten.

Dr. Gerd Krüger