Peinliche Diffamierung von Johannes Lepsius durch DIE LINKE

Die Fraktion DIE LINKE zeichnet in einer Kleinen Anfrage vom 7. Juli ein außerordentlich unbalanciertes, einseitig-negatives Bild von Dr. Johannes Lepsius (1858 - 1926), dem Helfer und Anwalt des armenischen Volkes in der Zeit der hamidischen Massaker und des Genozids im 1. Weltkieg. Dr. Lepsius wird hier vor allem als „rechtsgerichteter Antidemokrat", „Antisemit" und „Befürworter eines Großdeutschen Kaiserreichs" charakterisiert und diffamiert. Außerdem habe er eine „stark antitürkische" Einstellung gehabt. Natürlich handelt sich jemand, der an der Faktizität des Völkermords festhält und diesen gar als erster dokumentiert hat, den Vorwurf der den Völkermord bis heute leugnenden nationalistischen türkischen Regierungen ein, „anti-türkisch" zu sein.

Der Zentralrat der Armenier fürchtet, dass genau dies auch der substantielle Hintergrund der Kleinen Anfrage der LINKEN ist. Dennoch begrüßt der Zentralrat ausdrücklich, dass die Partei DIE LINKE in diesem Zusammenhang noch einmal rückhaltlos die Faktizität des Völkermords an den Armeniern anerkennt und die türkische Seite eindringlich ermahnt, ihre leugnende Haltung in dieser Frage endlich aufzugeben.

Tatsächlich ist
Lepsius nicht in erster Linie politisch zu bewerten, sondern als eine
international wirkende, große humanitäre Persönlichkeit zu charakterisieren. Für
die Armenier jeder politischen Richtung in Deutschland ist er eine unikale,
positive Ausnahmeerscheinung unter den Deutschen, da er im Vergleich zu den
deutschen Politikern aller Couleur nicht nur geredet, sondern auch gehandelt
hat. Sein Leben und Werk ist untrennbarer Bestandteil der armenischen Geschichte
und des armenischen Schicksals, wie auch das armenische Schicksal unlöslich mit
seinem Leben und Werk verbunden ist.

 

Das Lepsiushaus
in Potsdam ist daher eine in jeder Hinsicht geeignete Stätte zum Gedächtnis des
Lebens und Werkes von Johannes Lepsius, zum Gedächtnis der Opfer des Genozids
sowie für entsprechende Forschungen und wissenschaftlich-kulturelle
Öffentlichkeitsarbeit. Der Zentralrat der Armenier in Deutschland schätzt die
vom Vorstand des Fördervereins LEPSIUSHAUS POTSDAM e.V. geleistete Arbeit hoch
und empfiehlt dem deutschen Bundestag dessen weitere
Unterstützung.

 

Wer sich mit
Leben und Werk von Dr. Johannes Lepsius befasst hat, bemerkt schnell, dass in
der Kleinen Anfrage die wichtigsten Elemente in Leben und Werk von Lepsius unter
den Tisch gefallen sind und durch diese Auslassungen das gesamte
Persönlichkeitsbild von Lepsius grob verzeichnet wird.

Nicht ein
einziges Wort ist in der umfangreichen „Kleinen Anfrage" bei der
Charakterisierung des Lebens und Werkes von Dr. Johannes Lepsius darüber zu
lesen, dass er - im Unterschied zu allen deutschen Politikern und Publizisten -
ein großes Armenierhilfswerk begründet und betrieben hat, welches über seinen
Tod hinaus bis zum 2.Weltkrieg, anfänglich in der Türkei, in Bulgarien und im
Nord-Iran, später in Syrien und im Libanon, mindestens 20.000 Armeniern und
Armenierinnen, Deportierten, Flüchtlingen und Befreiten, das Überleben gesichert
hat. Die wirkliche Zahl der durch das Lepsius-Hilfswerk Geretteten liegt
wahrscheinlich noch wesentlich höher. Dieses von der deutschen Politik durch
Jahrzehnte verdrängte Rettungswerk von Lepsius, welches in der Kleinen Anfrage
der Fraktion DIE LINKE verschwiegen wird, ist eine der großen humanitären
Aktionen des 19./20. Jahrhunderts. Das Hilfswerk von Lepsius hat wesentlich dazu
beigetragen, dass sich das armenische Volk nach dem Völkermord in der weltweiten
Diaspora und in der armenischen Republik regenerieren
konnte.

 

Kein Wort fällt
peinlicherweise in der umfangreichen „Kleinen Anfrage" der Fraktion DIE LINKE
darüber, dass sich der linke Sozialdemokrat Karl Liebknecht bei seiner „Kleinen
Anfrage" im deutschen Reichstag Mitte Januar 1916, die sich auf die Verfolgung
der Armenier durch den deutschen Bundesgenossen Türkei bezog, explizit auf die
Materialien von Johannes Lepsius stützte.

 

Kein Wort fällt
in der umfangreichen „Kleinen Anfrage" darüber, dass Lepsius im 1.Weltkrieg im
neutralen und im ‚feindlichen' Ausland anlässlich der Armenier-Deportationen
konspirativ gegen die Interessen der kaiserlich-deutschen Orientpolitik eine
internationale publizistische Kampagne entfesselte, die zu einer Diffamierung
seiner Person bei der kaiserlich-deutschen Regierung
führte.

 

Kein Wort fällt
in der umfangreichen „Kleinen Anfrage" darüber, dass Lepsius, der 1919 angeblich
die deutsche Mitverantwortung am Armenier-Genozid vertuschte, bereits in
derselben Zeit (gedruckt und publiziert in seiner Zeitschrift „Der Orient" 1920)
klar von der „Mitschuld" Deutschlands sprach.

Kein Wort fällt
in der umfangreichen „Kleinen Anfrage" darüber, dass der angebliche ‚Antisemit'
Lepsius in entscheidenden Phasen und Aktivitäten seines Kampfes eng mit
bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten zusammenwirkte. Für die vertrauensvolle
Zusammenarbeit des angeblichen „Antisemiten" Lepsius mit bedeutenden jüdischen
Persönlichkeiten zur Rettung des armenischen Volkes soll hier lediglich der
US-amerikanische deutsch-jüdische
Botschafter Henry Morgenthau (senior) in Konstantinopel genannt werden.
Lepsius arbeitete persönlich mit ihm bei der Eruierung der Fakten des
Armenier-Genozids zusammen. Der Jude Henry Morgenthau hält in seinen berühmten
Memoiren den angeblichen „Antisemiten" Lepsius für den einzigen akzeptablen
Deutschen;

In der
umfangreichen „Kleinen Anfrage" wird von einer angeblichen „stark antitürkischen
Einstellung" von Johannes Lepsius gesprochen. Das ist prinzipiell falsch.
Lepsius kämpfte nicht gegen die Türken, sondern gegen den in der osmanischen Türkei verübten
Genozid. Er war also primär nicht „anti-türkisch" eingestellt, sondern
„anti-genozidal". Er hatte in seinem berühmten Gespräch mit Enver Pascha am 10.
August 1915 sogar noch versucht, mit den türkischen Machthabern zur Rettung der
Armenier zusammenzuarbeiten. Da diese dazu nicht bereit waren, musste er sich
daher in seinem historischen Kampf gegen den Völkermord auch gegen die
verantwortlichen Machthaber in der Türkei richten.

 

Der angeblich
‚anti-türkische' Lepsius war sowohl zur Zusammenarbeit mit Türken bereit, die
sich gegen die Verbrechen stellten, wie auch zur Hilfeleistung für Türken, die
Hilfe benötigten. In dem Hospital des Lepsius-Armenierhilfswerks in Urfa wurden
bewusst Patienten aller
Nationalitäten und Religionen der osmanischen Türkei behandelt, darunter im
Sinne der Versöhnung sogar Türken, die sich an den Armenier-Massakern beteiligt
hatten.

 

 

Zentralrat der Armenier in
Deutschland

Der
Vorstand

Frankfurt am
Main, 8.8.2008