z.Hd. Bundesminister des Innern Dr. Hans-Peter Friedrich
z.Hd. Staatsministerin Maria Böhmer
An die Landesregierung Nordrhein-Westfalen
z.Hd. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, Guntram Schneider
An die hessische Landesregierung
z. Hd. Ministerium der Justiz, für Integration und Europa, Jörg-Uwe Hahn
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 28. und 29. April hielt Prof. Dr. Kemal Cicek, als Genozidleugner "qua Amt" - er ist Vorsitzender der offiziösen staatsnahen Historikerkommission der Türkei - international berüchtigt, zwei Vorträge in Köln und Frankfurt am Main über das „Armenierproblem“. Die Veranstaltungen wurden von DITIB – Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. - organisiert. Der Istanbuler Zweig des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD) hat inzwischen Strafanzeige gegen Cicek wegen Volksverhetzung (Art. 216 StGB/Türkei) erstattet, weil der oberste Hüter der türkischen Geschichtsdoktrin im türkischen Fernsehen einen Armenier türkischer Staatszugehörigkeit öffentlich mit dem Tod bzw. Deportation bedroht hat.
Bei DITIB handelt es sich um eine türkisch-staatliche Organisation, die vorgibt, mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Einklang zu stehen, die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, die stets Wert auf Toleranz und Solidarität der Menschen untereinander und gegenüber anderen Glaubensangehörigen legt und so die Integration fördert: So lauten zumindest die Grundsätze dieses Vereins.
Trotz dieser Grundsätze werden Vorträge gehalten, Bücher präsentiert, Veranstaltungen organisiert, die das „Verbrechen gegen die Menschheit“, den Genozid an Armeniern, Aramäern, Assyrern und Griechen osmanischer Staatszugehörigkeit durch die Jungtürken leugnen. Der Massenmord an über drei Millionen Menschen wird systematisch geleugnet, verharmlost oder zur patriotischen Befreiungstat umgedeutet!
Aber nicht nur das.
Unsere Politiker fungieren als Schirmherren und halten Lobreden, wie z.B. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der vorbereitet war, die Laudatio auf den Steiger-Award-Preisträger Recep Tayyip Erdogan zu halten, oder der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP), der die Schirmherrschaft über die „Deutsch-Türkische Kulturolympiade“ übernommen hat, die dem Netzwerk der rassistisch geprägten Fethullah Gülen Stiftung nahe steht.
So werden also Preise für den türkischen Regierungschef (nur durch massenhafte öffentliche Proteste verhindert) und Propagandaveranstaltungen eines Hasspredigers wie Gülen gefördert.
Das sind Männer, die permanent damit beschäftigt sind, ihre Anhänger in der Türkei, aber auch hier in Deutschland für ihre Pläne zu gewinnen, mit militärischen, teilweise grenzüberschreitenden Vernichtungsaktionen gegen die restlichen Minderheiten (kurdische, armenische, aramäisch/assyrische Bevölkerungsgruppen – aber ebenso religiöse, nichtislamische Gruppierungen wie Christen, Jesiden, Aleviten) vorzugehen. Die noch in der Türkei lebenden Pontosgriechen werden in diesem Zusammenhang nicht mehr erwähnt, da diese Bevölkerungsgruppe dort schon längst zwangsislamisiert wurde.
Die oben Genannten, in Deutschland hofiert und geehrt, tragen dazu bei, dass bis heute in der Türkei Minderheiten missbraucht und ermordet werden - so sitzen etwa zur Zeit über 2600 kurdische Kinder in türkischen Gefängnissen, hilflos ausgeliefert der Folter und Vergewaltigung.[1]
Diese Leute tragen ebenfalls dazu bei, Kulturgüter mit allen Mitteln der Gewalt zu zerstören und zu enteignen. Jahrtausende alte Kirchen werden in Moscheen bzw. Restaurants umgewandelt (z.B. die Heilige Apostelkirche in Urfa, ehemals Edessa oder aramäisch Urhoy, wurde zu Firfili-Moschee). Es handelt sich bei diesem Gotteshaus übrigens um jene armenisch-apostolische Kathedrale, in der am 25. Dezember 1895 über dreitausend Zuflucht suchende Armenier lebendig verbrannt wurden (von einer US-amerikanischen Augenzeugin als Holocaust bezeichnet); während des Ersten Weltkrieges richtete sich die osmanische Armee in diesem Gotteshaus ein Bordell mit armenischen Mädchen und Frauen ein.
Gegenwärtig droht Mor Gabriel, einem der ältesten christlichen Klöster der Welt, die gerichtlich durch alle türkischen Instanzen bekräftigte Enteignung seines Landbesitzes.
Welche Grundsätze gelten in Deutschland? Wie kann hierzulande ein Integrationsminister die Schirmherrschaft über eine derart menschenverachtende Propagandaveranstaltung wie am vergangenen Wochenende übernehmen?
Welche Prinzipien verfolgen die Bundes- und Landesregierungen im Bezug auf Integration und wie wird überhaupt Integration definiert? Welche Werte werden hier in den Vordergrund gestellt?
Die unterzeichnenden Vereine und Verbände vertreten einen aktiven Teil unserer Gesellschaft. Wir fordern eine transparente und eine wirklich integrationsorientierte Politik.
Deutschland ist ein Einwanderungsland und hat sich allmählich von einem Gastarbeiterland zu einem Land mit gesteuerter Zuwanderung entwickelt. Um eine erfolgreiche Integrationspolitik zu betreiben, muss vor allem eine transparente Basis geschaffen werden, indem die Zuwanderer aufgeklärt werden: über ihr neues Aufenthaltsland, ebenso aber auch über Tradition und Geschichte ihrer Herkunftsländer. Nur wer seine eigene Geschichte umfassend und uneingeschränkt kennt, kann den anderen Respekt und Anerkennung erweisen. Durch die Leugnung oder revisionistische Umdeutung historischer Tatsachen, insbesondere wenn es sich um höchste Staatsverbrechen wie Völkermord handelt, werden Zuwanderergemeinschaften vielmehr gegeneinander aufgehetzt. Demzufolge wird die Gesellschaft Deutschlands polarisiert und zwiegespalten, der öffentliche Friede gefährdet.
Integration ist keine Einbahnstraße.
Wir fordern eine Zukunft ohne Hasspredigten und einen versachlichten Dialog aller Minderheiten.
Wir fordern die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern, Aramäern/Assyrern sowie Griechen Kleinasiens und Ostthrakiens, durch die Parlamente der Türkei und Deutschlands.
Wir fordern ein Gesetz gegen die Leugnung von Völkermord.
Wir fordern die Übernahme des Themas Völkermord in deutsche Schulbücher und Lehrpläne.
Wir fordern gleiche Rechte und Gleichbehandlung für jede Ethnie in der Bundesrepublik Deutschland.
In einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland darf kein Raum sein für integrationsfeindliche Propaganda.
„Denn Frieden und gesundes Miteinander kann nur dann erreicht werden, wenn Informationsquellen über die Vergangenheit einer Nation geteilt werden und Nationen offen über die Vergangenheit reden können.
Nur auf diese Weise kann gegenseitiges Verständnis und ein Dialog entstehen, an Stelle von Hass.“
Wie fordern Anerkennung und Aufklärung!
Hochachtungsvoll
ADHK – Konföderation für Demokratische Rechte in Europa
AGIF - Föderation der Arbeiterimmigrant /innen in Deutschland e.V.
Arbeitsgruppe Anerkennung–Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V.
Armenische Gemeinde zu Köln e.V.
Assembly of Armenians in Europe-Sektion Deutschland (AAE)
Assyrian Democratic Organization (ADO)
Assyriska Riksförbundet i Sverige (ARS)
Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände - BAGIV e.V.
Cenî - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
CÎK-Föderation der Kurdischen Muslimischen Gemeinschaften in Europa e.V.
Der Europäische Friedensrat Türkei/Kurdistan
Deutsch-Armenische Gesellschaft e.V. (DAG)
Deutsche Kurdische Kultur Bund e.V.
FEDA - Föderation der Demokratischen Aleviten e.V.
FKE - Föderation der Yezidischen Vereine e.V.
Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V.
Föderation der Dersim Gemeinden in Europa e.V.
Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland YEK-KOM e.V.
Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV)
KOMCIWAN – Kurdischer Kinder und Jugendverband e.V.
KOMJIN – Verband der Frauen aus Kurdistan e.V.
KOMKAR - Verband der Vereine aus Kurdistan e.V.
Kurdische Gemeinde in Deutschland e.V.
Kurdisches Institut in Deutschland
Panepirotischer Verband Europas e.V.
Seyfo Center
TÜDAY - Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland e.V.
Verband der Vereine der Griechen aus Pontos in Europa e.V.
Verband Griechischer Gemeinden – OEK e.V.
YEKMAL e.V. - Kurdischer Elternverein
YMK – Verein der Kurdischen Lehrer in Europa e.V.
YXK- Dachverband der Studierenden aus Kurdistan in Europa e.V.
Zentralrat der Armenier in Deutschland e.V.
Zentralverband der Assyrer in Deutschland und Europa e.V.
[1] Quelle: Spiegel, 23.04.2010, Frankfurter Rundschau, 13.03.2012, SWR, ARD Mediathek, Europamagazin, 21.04.2012