„Wehrt Euch!“ Offener Brief an Ungarns Intellektuelle

Liebe Freunde, die über viele Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsene Verbindung zwischen uns Armeniern und den ungarischen Intellektuellen veranlasst uns heute, diesen Brief zu schreiben. Wir wollen Euch damit Mut machen, Euch gegen die Justiz Eures Landes zu wehren, zugleich bitten wir Euch aber auch um Hilfe.

Es gibt einen traurigen Anlass für dieses Schreiben: ein verheerender Deal zwischen der ungarischen und der aserbaidschanischen Regierung. Ungarn liefert einen zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder nach Baku aus und übergibt ihn damit der Freiheit. Der aserbaidschanische Offizier Ramil Safarow hatte im Jahre 2004 – im Rahmen eines Nato-Programms in Budapest -  den armenischen Leutnant Gurgen Margaryan im Schlaf mit einem Beil erschlagen. Die ungarische Regierung macht sich, indem sie den Mörder ausreisen lässt, schuldig, sie schlägt sich in einem ethnisch begründeten Konflikt auf die Seite des Täters und billigt die Begnadigung eines brutalen Schlächters. Aus welchen Gründen? Steckt wirklich der Kauf ungarischer Staatsanleihen durch Aserbaidschan dahinter? Oder Öl/Gas-Interessen? Dürfen wir nach der Moral hinter solchen politischen Entscheidungen fragen?
 
Wir sind sicher, dass Ihr Euch all diese Fragen selbst stellt. Wir haben die heftigen Auseinandersetzungen um das ungarische Mediengesetz, um Presse- und Meinungsfreiheit verfolgt. Nun setzt sich die Justiz erneut in das diffuse Licht undurchschaubarer Hökereien. Wehrt Euch, noch einmal! Und helft uns, der Wahrheit auf die Spur zu kommen: Warum wird ein rassistischer Mörder freigelassen, um in der Heimat als Nationalheld gefeiert zu werden? Wir würden es wenigstens verstehen wollen...
 
Auf vielen Gebieten von Politik, Diplomatie, Wissenschaft und Kunst haben wir kooperiert. Wir erinnern nur an den Gründer der Stadt Armenopolis (Szamosújvár) im Jahre 1700, Erzbischof Oxendius Verzár (Varzarian1655-1715),die „Märtyrer von Arad“: den ungarischen Revolutionsgeneral Ernő Kiss (Pztikian 1799-1849),den Oberst Vilmos Lázár (Ghazarian 1817-1849),den General und Heldder Revolution von 1848-49, János Czetz (Czetzian1822-1904),den Bürgermeister von Budapest Pattantyús Ábrahám Adeodát (Asadur  Abrahamian) in 19. Jh. und viele hundert anderen armenischen Intelektuellen in der ungarischen Geschichte.
 
Heute appellieren wir an Euch, unsere Sorgen aufzunehmen und die Folgen einer höchst bedenklichen politischen Entscheidung in den Blick zu nehmen: Der andauernde Konflikt um die Republik Berg-Karabach kann gefährlich eskalieren, wenn Mörder zu Helden, Vernunft zu Fanatismus, Politik zu Dealerei verkehrt werden. Wir aber brauchen eine Politik des Friedens und des Ausgleichs. Ungarn hat im Zusammenhang mit der deutschen Einheit eine herausragende Rolle gespielt – im Konflikt um Berg-Karabach verspielt Euer Land viel internationales Renommee. Wehrt Euch!
 
Mit herzlichen Grüßen

Armenisch-Akademischer Verein 1860 e.V.

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