"Ich muss die Nummer eins sein" - Interview mit Boxer Abraham

Arthur Abraham, 28, ist Deutschlands bester Boxer. Der aus Armenien stammende Mittelgewichtsweltmeister spricht über Weihnachten, seine Liebe zu Deutschland, sowie über dumme und schlaue Boxer.
 

von Axel Kintzinger 

FTD Herr Abraham,
wie feiert ein Boxweltmeister Weihnachten?

Arthur Abraham Mit
meiner Familie, im engsten Kreis.

FTD Geht's in die
Kirche?

Abraham Das schaffe
ich nicht. Ich muss trainieren.

FTD An Heiligabend?

Abraham Ich
trainiere jeden Tag zweimal. Auch Heiligabend. Aber die anderen aus der Familie
werden in die Kirche gehen. Dann treffen wir uns nach dem Training zur
Weihnachtsfeier. Ich gehe lieber an anderen Tagen in die Kirche, es gibt in
Berlin zwei armenische. Und manchmal besuche ich Gottesdienste anderer Kirchen.

FTD Welche Rolle
spielt der Glauben in Ihrem Alltag?

Abraham Eine große.
Ich habe vom Oberhaupt unserer Kirche in Armenien ein Kreuz bekommen, ein
kleines goldenes, das er gesegnet hat. Meinen Weltmeistergürtel hat er dann auch
noch gesegnet.

FTD Sie sind in
Armenien ein Star, leben aber in Berlin und boxen für Deutschland. Muss ein
komisches Gefühl sein.

Abraham Ist es aber
nicht. Wenn die Leute deine Leistung schätzen und dich akzeptieren - das ist
doch schön. In Armenien sind sie stolz, sogar stolz auf Deutschland, weil ein
armenischer Boxer es hier so weit bringen konnte.

FTD Wie viel
kriegen die Armenier denn überhaupt von Ihnen mit?

Abraham Wenn ich
boxe, habe ich in Armenien bis zu 81 Prozent Marktanteil bei der Einschaltquote.
Ich bin in TV-Sendungen, habe dort Werbepartner - die Leute wissen fast alles
über mich.

FTD Was hat Sie
eigentlich für Deutschland eingenommen?

Abraham Dieses Land
ist für mich die Nummer eins in der Welt. Hier lernt man Disziplin, Sauberkeit,
Pünktlichkeit, Ehrgeiz. Hier lernt man, sich alleine durchzubeißen.

FTD Sie kamen mit
14 Jahren nach Deutschland. Ahnten Sie da schon, es zu etwas bringen zu können?

Abraham Ich war
Radrennfahrer. Und gar nicht so schlecht: Frankenmeister, Vize-Landesmeister in
der Jugend. Aber bald habe ich gemerkt, dass es für die Weltklasse nicht reicht.
Und damit erlosch mein Interesse an diesem Sport.

FTD Boxen als
nächster Versuch?

Abraham Ich wusste:
Boxen liebe ich. Wenn ich im TV sah, wie die Boxer gefeiert wurden, wie man sie
auf Schultern trug, hat mich das gerührt. Das wollte ich auch.

FTD Schon als
Jugendlicher war Ihnen klar: Egal was ich mache, es muss Weltklasse sein?

Abraham Ja, und ist
es noch heute. Bei allem, was ich tue, muss ich die Nummer eins sein.

FTD Haben Ihnen das
die Eltern beigebracht?

Abraham Ja, oder
genauer: mein Opa. Der hat mich so erzogen. Ein richtiger Platz, hat der gesagt,
ist nur ganz oben. Zweiter oder Dritter ist kein richtiger Platz mehr.

FTD Ganz schön viel
Druck für einen Jugendlichen.

Abraham Und das ist
gut so. Was nutzt es mir als Boxer, wenn ich mal gewinne, mal verliere, wenn
alles egal wäre. Dann wäre man nur Mittelklasse - und wie viele
Mittelklasseboxer gibt es auf der Welt! Man muss Weltklasse sein.

FTD Wenn Sie mal
Kinder haben: Werden Sie denen das auch mit auf den Weg geben?

Abraham
Hundertprozentig. Ich wäre wohl noch schlimmer. Ganz gleich, was sie machen
werden: arbeiten, studieren oder Sport treiben. Sie müssen dabei super sein.
Wenn einer Physiker werden will, muss er auch da die Nummer eins sein. Er muss
es zumindest versuchen. Die Einstellung, es zu wollen, die muss vorhanden sein.

FTD Hatten Sie nie
Zweifel, Ihre hochgesteckten Ziele zu verfehlen?

Abraham Nie. Nur
wenn ich abnehmen muss vor einem Kampf ...

FTD ... um auf das
Kampfgewicht zu kommen ...

Abraham ... dann
muss ich mich zwingen - sonst nicht. Als ich hierherkam, hatte ich nicht mal 50
Mark. Ich bin arbeiten

gegangen
den ganzen Tag, und hab 80 Mark verdient, so mit 15, 16 Jahren. Heute würde mich
das nerven. Jetzt lebe ich in einem wunderschönen Haus und möchte diesen Status
auch nicht mehr verlieren.

FTD Wohlstand
bedeutet Ihnen viel, oder?

Abraham Natürlich,
das ganze Blut und der viele Schweiß muss sich doch lohnen. Allerdings ist Geld
für mich heute nicht mehr ganz so wichtig.

FTD Weil sie es
jetzt haben?

Abraham Genau. Viel
wichtiger ist jetzt, dass ich gesund bin und eine glückliche Familie habe. Dass
meine Eltern bei mir leben und mein Bruder. Dass ich nach Hause komme und alle
strahlen. Dass da Frieden ist.

FTD Auf den Sport
allein wollten Sie sich nicht verlassen beim Erreichen dieses Ziels. Sie haben
auch studiert, Management. Ist das exotisch für einen Boxer?

Abraham Die
Klitschkos haben studiert, Krasniqi auch, Dimitrenko studiert noch. Ein dummer
Boxer erreicht im Ring nichts. Er kann kurz Glück haben, aber auf Dauer schafft
er nicht viel, wenn er dumm ist. Beim Boxen entscheiden nicht die Muskelberge.
Die hat jeder, der um WM-Titel kämpft. Talent haben auch viele. Beim Boxen
entscheidet nur der Kopf.

FTD Aber Ihr Idol
ist doch Mike Tyson, hieß es immer.

Abraham Nur der
junge Mike Tyson, das boxerische Talent. Aber schauen Sie, was aus ihm geworden
ist: Tyson hatte 500 Millionen verdient, heute hat er 30 Millionen Schulden. Wo
gibt's denn so was?

FTD Geht Ihnen
dieses Drumherum eines Kampfes, die großmäuligen Sprüche vor dem Fight, nicht
furchtbar auf die Nerven?

Abraham Und wie!
Ich mag das überhaupt nicht. Leute wie Edison Miranda ...

FTD ... der Ihnen
in Wetzlar den Kiefer brach und den Sie kürzlich k. o. geschlagen haben ...

Abraham ... haben
einfach kein Niveau. Er werde mich schlachten wie ein Schwein, hatte er gesagt.
Aber das gehört zur Show und muss vielleicht so sein. Denken Sie an David Haye,
das ist der mit dem Bild vom geköpften Klitschko. Kannten sie Haye vorher?

FTD Äh ...

Abraham Da sehen
Sie's. Jetzt kennt man ihn. Es werden sich mehr Leute diesen Kampf angucken.

Es ist also
gut aus Gründen des Marketings - aber ich beteilige mich an solchen Sachen
nicht.

FTD Gehen Ihnen
eigentlich die Gegner aus?

Abraham Nein, es
gibt noch gute Boxer. Etwa den Amerikaner Kelly Pavlik oder Felix Sturm.

FTD Will Sturm
überhaupt?

Abraham Offenbar
nicht, das Thema ist für mich erst einmal gegessen. Wir haben ein Angebot
gemacht, die haben abgelehnt. Dieser Kampf findet also wahrscheinlich nicht
statt. Aber wir versuchen es ja auch in Amerika und hoffen sehr, dass dort ein
Kampf gegen Pavlik noch 2009 stattfindet.

FTD Was macht
Arthur Abraham, wenn er mal nicht mehr boxt?

Abraham Der wird
aktiv bleiben, wenn auch nicht unbedingt in der Boxszene. Ich interessiere mich
für die Flugzeugbranche, da werde ich auch noch mehr machen, und vielleicht
etwas mit Immobilien.

FTD Und was soll
vorher noch erreicht werden?

Abraham
Superchampion sein - Meister aller Verbände im Mittelgewicht. In zwei Jahren
will ich das schaffen.