Zum Besuch der Bundeskanzlerin in der Türkei

Die im Juni 2005 vom Bundestag angenommene Resolution zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern in der Türkei trägt auch die Unterschrift der heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel. In der Resolution war die Bundesregierung aufgefordert worden, sich für die Gewährung der Meinungsfreiheit in der Türkei, insbesondere auch bezüglich des Schicksals der Armenier, einzusetzen. Seit Beginn der Beitrittsverhandlungen vor rund einem Jahr, hat die Türkei leider kein einziges der politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt. Wie auch das Europäische Parlament kürzlich deutlich kritisiert hat, gibt es „anhaltende Mängel oder unzureichende Fortschritte insbesondere auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit, der Religions- und Minderheitenrechte“.

Der ZAD ist vor allem besorgt darüber, dass die Türkei trotz
aller Aufforderungen seitens der EU ihre Leugnungspolitik fortsetzt und
kritische Stimmen zu unterdrücken versucht. Die Prozesse Orhan Pamuk, Elif
Shafak und vor allem gegen Hrant Dink, dem Herausgeber der in Istanbul
erscheinenden armenischen Wochenzeitung, zeigen, dass der türkische Staat und
die Gerichte gerade diejenigen zum Schweigen bringen wollen, die für eine
kritische Aufarbeitung der Geschichte eintreten.

 

Vor allem die damalige rot-grüne Regierunge hatte sich
entschieden für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
eingesetzt. Die Erwartung, dass mit Aufnahme der Beitrittsverhandlungen der
demokratische Reformprozess beschleunigt würde, hat sich bis heute leider nicht
erfüllt. Selbst in der Zypern-Frage zeigt sich die Türkei völlig unnachgiebig:
Während sie die seit über 35 Jahre andauernde völkerrechtswidrige Besetzung
Nord-Zyperns fortsetzt und sich weigert, ihre eingegangenen Verpflichtungen
gegenüber der EU einzuhalten, stellt sie an die EU Forderungen wie die
„Aufhebung der Isolation Nord-Zyperns". Zwar ist immer die Rede von „ernsten
Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess", aber letztlich hat die EU bis jetzt
nichts Konkretes unternommen, um der Türkei zu zeigen, dass die Geduldsgrenze
erreicht ist.

 

Die oft hervorgehobene wichtige „geostrategische Lage der
Türkei" und ihre „sicherheitspolitische Bedeutung für Europa" dürfen nicht dazu
führen, dass man der Türkei gewissermaßen einen Sonderstatus bei der Einhaltung
demokratischer Standards, der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen und
der Einhaltung des Völkerrechts zugesteht.

 

Der ZAD begrüßt die Ankündigung der Bundeskanzlerin bei
ihrem Türkeibesuch eine kompromisslose Position in der Zypern-Frage zu
vertreten. Wir hoffen aber auch, dass sie bei ihren Gesprächen mit der
türkischen Regierung genauso entschieden für die Einhaltung der Menschenrechte,
der Meinungs- und Religionsfreiheit in der Türkei eintritt und die Türkei zur
Änderung ihrer bisherigen Politik drängt. Dies wäre auch im Sinne der von ihr
unterzeichneten Bundestagsresolution.

 

Zentralrat der
Armenier in Deutschland

Frankfurt
am Main, 09.10.2006